Interview
Elisabeth Bronfen kuratiert eine Ausstellung nur von Künstlerinnen: «Alles, was der Mann macht, ist wertvoller»

Kulturwissenschafterin Elisabeth Bronfen erzählt die Schweizer Kunstgeschichte aus einer neuen Perspektive. Im Aarauer Kunsthaus will sie zeigen, dass es eine Tradition von weiblichem Kunstschaffen gibt, die man wiederentdecken kann.

Interview: Daniele Muscionico
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«Es ist mir wichtig, Verbindungslinien zwischen verschiedenen Künstlerinnen aufzuzeigen», erklärt Elisabeth Bronfen.

«Es ist mir wichtig, Verbindungslinien zwischen verschiedenen Künstlerinnen aufzuzeigen», erklärt Elisabeth Bronfen.

Bild: Echtzeit Verlag

Als international erfolgreiche Anglistin werden Sie im Kunsthaus Aarau eine Sammlungsausstellung kuratieren – einzig mit Künstlerinnen. Ist das nicht sexistisch?

Elisabeth Bronfen: Es geht nicht um Ausschluss, vielmehr um Konzentration. Ich möchte zeigen, was passiert, wenn man die Künstlerinnen dieser Sammlung zusammen mit Künstlerinnen aus anderen Teilsammlungen gebündelt ausstellt. Das erlaubt einen anderen Blick auf die Schweizer Kunst der siebziger bis neunziger Jahre – und auch zurück in die klassische Moderne. In beiden Epochen haben Künstlerinnen bewusst als Frauen, wenn nicht als Feministinnen gearbeitet.

Machen Frauen andere Kunst als Männer? Man sagt, dass sie kleinformatiger arbeiten. Aus anerzogener Zurückhaltung?

Kunst entsteht aus einem Umfeld, dem Gepäck, welches eine Künstlerin mit sich bringt, was sie auf sich bezieht und wie das, was sie macht, angenommen wird oder nicht. Das ist nicht gleich für Männer und Frauen.

Zur Person

Elisabeth Bronfen
Bild: Severin Bigler

Elisabeth Bronfen

Die Literaturwissenschafterin ist Lehrstuhlinhaberin am Englischen Seminar der Universität Zürich und Professorin an der New York University. Sie publiziert über Gender Studies, Film und Kulturwissenschaften. (M.D.)

Louise Bourgeois . . .

. . . ist ein sehr gutes Beispiel. Sie war ihr ganzes Leben lang als Künstlerin tätig und hat ganz konkret ihre persönliche Geschichte bearbeitet. Die Wut auf den Vater, die Eifersucht auf dessen Geliebte, das schwierige Verhältnis zur Mutter. Doch sie wird erst spät in ihrem Leben, mit 62 Jahren, zu einer Ikone der Kunstwelt.

Wo ist der weibliche Picasso, Rembrandt, Michelangelo? Frauen, Kunst und Ruhm scheinten unvereinbar zu sein. Weshalb?

Mich interessiert vielmehr die Frage: Warum hat man Frauen, die ja immer wieder auf dem Kunstmarkt sichtbar waren, so schnell wieder vergessen? In der Moderne, bei den Impressionistinnen, und bereits vorher wurden Künstlerinnen immer wieder prominent wahrgenommen.

Und dann passierte was?

Man darf nicht vergessen, dass es damals das gab, was es heute kaum mehr gibt: Nämlich die Figur des Kunstkritikers. Dieser hat massgeblich dazu beigetragen bei der Entscheidung, welche Kunst wertvoll und welche nicht wertvoll ist. Dann darf man auch nicht vergessen, wie sehr Kunst von Mäzenen abhängt, und dass diese in der Vergangenheit eben oft eher Künstler als Künstlerinnen ausgewählt haben.

Weil das Gefüge bis vor kurzem noch männlich war?

In einem patriarchalen System ist das, was der Mann macht, grundsätzlich wertvoller, als das, was die Frau macht. Das gilt im 20. Jahrhundert noch bis in die neunziger Jahre.

Das entspricht dem Begriff des Künstler-Genies, von Goethe bis Picasso, der durch die Bank den Männern vorbehalten war – oder ist.

Die Frau, die ja immer als Mutter, Tochter, Schwester und Ehefrau verstanden wird, passt in das Solitäre, das beim Geniebegriff entscheidend ist, nicht hinein.

Frau ist Anhang von, Mann ist eine Entität für sich. . .

. . . am Konzept des männlichen Genies, der zwar aus der Antike kommt, aber im europäischen 18. Jahrhundert wieder entscheidend wird, hängt ein Kunstbegriff, der meint, die künstlerische Kraft muss nicht in der Welt verankert sein, sondern macht aus dem Künstler einen einsamen, auf sich bezogenen Schöpfer. Und das ist nicht, was Frauen historisch meist interessiert hat. Sie beschäftigen sich oft mit dem Kontext, aus dem sie kommen; mit ihrer Familie.

Haben Sie in Ihrer Recherche einen ähnlichen Fall wie der von Artemisia Gentileschi entdeckt? Die zeitlebens gefeierte Barockmalerin, die heute als mindestens so talentiert wie Caravaggio gilt, verschwand nach ihrem Tod in den Archiven. Erst die feministische Bewegung holte sie wieder ans Licht.

Erfolgreiche Künstlerinnen müssen nicht sterben, um in Vergessenheit zu geraten. Denken Sie an die Schweizerin Klaudia Schifferle, die in den achtziger Jahren eine unglaublich bedeutende Künstlerin war. Heute kennen viele ihren Namen nicht mehr, obgleich sie weiterhin erfolgreich künstlerisch tätig ist und Preise gewinnt. Frauen fallen mit grosser Leichtigkeit vom Radar. Deshalb ist es mir so wichtig, Verbindungslinien zwischen den Künstlerinnen aufzuzeigen. Das fördert ihre nachhaltige Sichtbarkeit.

Weshalb wissen wir von solchen Verbindungslinien so wenig?

Ich denke, es hat damit zu tun, dass es bei Frauen keine so ausgeprägte Traditionsbildung gibt. Der junge Künstler ist der Sohn von X, und der Kritiker versucht zu fragen: X tritt in die Fussstapfen von? Und genau das hat man bei Künstlerinnen bis vor kurzem nicht entschlossen genug gemacht. Als die Feministinnen in den siebziger Jahren in die Archive gingen, um jemanden wie Artemisia Gentileschi zu entdecken, entdeckten sie sie als Sonderfall.

Das heisst konkret?

Man diskutierte sie als die Tochter von, als die Frau von, anstatt zu sagen: Es gibt ein ganzes Umfeld, und Gentileschi greift sowohl Künstlerinnen als auch Künstler auf und schreibt sie auf ihre Weise um – und, sie hat ihrerseits XY beeinflusst. Genau das interessiert mich in der Ausstellung am Kunsthaus Aarau: Ich möchte zeigen, dass es eine Tradition von weiblichem Kunstschaffen gibt, die man wiederentdecken kann. Das Wissen war ja in den siebziger Jahren schon einmal da. Wir kehren eigentlich zu etwas zurück, heute allerdings mit sehr viel mehr politischem und institutionellem Druck.

Nun gibt es aber doch Hoffnung. Die zeitgenössische Generation von Kunstfrauen scheint ihren Weg in die Öffentlichkeit ungehindert gehen zu können. Alles in Butter also?

Sicher nicht! Und das wäre auch nicht interessant. Es ist gut, dass sich das Bewusstsein in den letzten Jahren geändert hat. Aber man darf nicht vergessen: Die Frauen um die Jahrhundertwende, in der Avantgarde, auch in der Pop Art waren schon mal da. Dann sind sie aus unserem Blickfeld teilweise wieder verschwunden. Heute erfolgreiche Künstlerinnen können genauso wieder verschwinden, wenn wir nicht an dieser Traditionslinie arbeiten. Sophie Taeuber-Arp, Alice Bailly, Meret Oppenheim, Ilse Weber: Wir müssen uns an die Vorgängerinnen erinnern und sie aber auch neu beleben. Sie und die gesamte weibliche Tradition darf nicht vergessen werden.

Elisabeth Bronfen kuratiert:
«Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau.»
Geschichte der Künst­lerinnen in der Sammlung, Kunsthaus Aargau, 27. 8.