New Music Days
Ist Musik künftig nur noch multimedial?

Studenten aus Musik und Kunst finden sich zu einem verblüffenden medialen Abend zusammen. Bleibt dabei die Musik auf der Strecke?

Roman Kühne
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Szene aus dem Lichttheater «Alchemia Somnium»; Schemen und Schatten erzählen den Kern der Geschichte.

Szene aus dem Lichttheater «Alchemia Somnium»; Schemen und Schatten erzählen den Kern der Geschichte.

Bild: Manuela Jans-Koch (24. Juni 2021)

Irgendwann ist da nur noch eine Mauer. Ein Meer aus Menschenleibern, eine Armee, die über die Leinwand marschiert. Nackt, geschlechtslos, weiss und anonym. Die Musik gibt die Richtung vor und treibt den namenlosen Klumpen vor sich her. Das Leben implodiert und die Technik triumphiert. Musikalisch und visuell. Diese Aufführung von «Es-Wir-Ich» ist grosses Kino mit ebensolcher Filmmusik. Es ist der spektakuläre Auftakt, mit dem die «New Music Days» am Donnerstag im Kampus Südpol ihre jährliche Präsentation eröffnen.

Diese visuell-musikalische Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen Luzern – Musik sowie Design & Kunst hat Tradition. Seit sieben Jahren wird ein spartenübergreifender Kurs ausgeschrieben. Und der Lehrgang hat sich zu einer eigentlichen Schnittstelle zwischen der studentischen Ausbildung und der gelebten Musikmoderne entwickelt. In den letzten Jahren fanden diese Veranstaltungen entweder im Neubad oder im Maihof statt. Erstmals dient jetzt das neue Hochschulgebäude, genauer der Konzertsaal «Blackbox Kosmos» als Bühne. Dies gibt den Künstlern praktisch freie Hand. Der Saal kann, je nach Projekt, individuell verändert werden.

Im Eröffnungsstück «Träum von mir» sitzen die Saxofon und Querflöte spielenden Musiker auf Säulen. Projizierte Hände greifen von oben und unten ineinander, rundum werden die Pfeiler mit Licht bespielt. Kaleidoskope, die immer neue Strukturen zeichnen. Die rätselhafte, suchende Musik – knarrend, atmend und lustvoll – wird mit dem menschlichen Sehnen nach Zweisamkeit verknüpft.

Das nächste Lichttheater «Alchemia Somnium» spielt am gegenteiligen Saalende. Eine schlafende Frau, eine weisse Trennwand, eine Tänzerin und ein Topf reichen als Utensilien. Ihre Schemen und Schatten erzählen den Kern der Geschichte. Rauschende Filmwiesen, eine Steigerung aus Farben liefert den Handlungsstrang.

Die Musik-Projektionsmischung «Juicy Fly with Diamonds» wird dann fast klassisch auf der Leinwand eingespielt. Der Rapper und die Violinistin legen den Sound. Vier Künstlerinnen am Laptop wandeln diesen direkt zu Schemen und Bildern um.

Spiegel der eigenen Bildschirmwelt

Sehen so die zukünftigen Konzerte aus? Unsere Welt ist visuell wie noch nie. Diverse Endgeräte beleuchten und bestimmen unser Sein im Sekundentakt. Youtube, Grafikprogramme und Videoclips sind bei den Studenten Alltagsware. Nur logisch, dass die jungen Kreativen diese, ihre Erfahrungswelt auch künstlerisch nutzen. Auch die weiteren Konzerte dieser «New Music Days» sind stark auf das Auge und den Bildschirm ausgerichtet. In «Shapeshifters» werden Klassiker der Moderne multi-medial präsentiert (Samstag). Am Sonntag stehen audio-visuelle Werke von Óscar Escudero auf dem Programm. «Einerseits ist es Zufall, dass so viel Video zusammenkommt», erklärt Erik Borgir, Leiter der Contemporary Music Abteilung der Hochschule. «Aber es ist sicher auch der Zeitgeist. Positiv ist: Visualisierungen helfen beim Verständnis der neuen Musik. Diese ist sehr abstrakt. Die Besucher sind oft nicht mit der Entwicklungsgeschichte der Moderne vertraut und können das, was sie hören, schlecht einordnen. Neueste Trends in Kino und Film sind hingegen oft Allgemeingut. Abstrakte Videoclips werden deshalb schneller verstanden.»

Verliert die Musik?

Im Konzert funktioniert diese Mischung hervorragend. Auf den ersten Blick. Natürlich fügen sich die modernen Töne zu stimmigen Gemälden. Allerdings tritt die Musik in der Wahrnehmung des Zu-Schau-Hörers oft klar hinter die Bilder zurück. Die Komposition wird teils zum blossen Begleitprogramm. Auch sind die Farb- und Formexplosionen sehr bombastisch. Die schnellen Wechsel, das Stakkato, mit dem die Reize durch die Leinwand blitzen, ermüden das Auge und die Fantasie. Wie in vielen Kinofilmen erhält der Besucher wenig Raum zu eigenen Gedankenspielen. Mehr Stringenz würde hier aber auch das künstlerische Profil der einzelnen Gruppen schärfen. Wohltuend schlicht ist zum Beispiel die in drei Proberäumen aufgeschaltete Installation «Dream Shifting». Ein gelungener Versuch, dem Phänomen «Minimal Music» eine Entsprechung zu geben. Schlichte, sich überlappende Personenbilder, die gerade in ihrer «Untätigkeit» Schöpferkraft und Leben öffnen. Die Frage bleibt: Wird hier die Musik für immer verändert? «Das eine kann das andere nicht ersetzen», führt Erik Borgir aus. «Ich persönlich bin ein starker Anhänger des traditionellen Konzertes. Reines Hören bringt eine ganz andere Tiefe und Dichte hervor.»

Hinweis: Tipp: «New Music Days» mit verschiedenen Konzerten bis am Sonntag, 27. Juni. Alle im Blackbox Kosmos, Kampus Südpol.

Informationen zum Programm findet man am einfachsten durch die Suchmaskeneingabe «New Music Days».

SA 26. Juni
14.00 Uhr: Blackbox Kosmos (auch im Livestream).Highlights aus dem Studienjahr
Werke u.a. von Pierre Boulez, Helmut Lachenmann, Edison Denisov, Luigi Nono; 20.00 Uhr, Blackbox Kosmos.

Shapeshifters
Multimediale Ausarbeitungen von Klassikern der Moderne; Sonntag, 27. Juni, 14.00 Uhr, Blackbox Kosmos.

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Corentin Marillier (Master Music and Art Performance) und das Ensemble SoundTrieb spielen audiovisuelle Werke von Óscar Escudero, mit einer Einführung des Komponisten; 19.00 Uhr, Blackbox Kosmos (auch im Livestream).Das Ensemble SARGO spielt Werke aus der Kompositionsklasse von Dieter Ammann; Clemens Heil, Victor Alexandru Colțea, Leitung.