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Kultur
Im Schiffbau Zürich legt Choreograf Trajal Harrell mit «Juliet & Romeo» Trauer frei. Wenig Shakespeare-Zitate, ohne Verona-Kitsch, dafür tänzerisch, kraftvoll und poetisch.
Die Gräber haben sich riesig in den Bühnenboden gefressen. Nur schmale Stege drumherum sind begehbar. Schon im Bühnenbild von Trajal Harrells Inszenierung «Juliet & Romeo» zeigt sich: Es geht nicht um die berühmteste Liebesgeschichte der Welt, es geht um den Tod. Um Trauer. Um Schmerz.
Seit dieser Spielzeit ist der US-amerikanische Choreograf Trajal Harrell fester Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich. «Juliet & Romeo» ist nach «In the Mood for Frankie» seine zweite Arbeit am Schauspielhaus. Uraufgeführt wurde «Juliet & Romeo» 2017 an den Münchner Kammerspielen, mit fast derselben Besetzung hat Harrell den Abend nun für Zürich erarbeitet, am 17.Dezember war Premiere. Und in der kleinen Spielstätte im Schiffbau tanzen die Toten.
Trajal Harrell zeigt nicht die klassische Geschichte der beiden Teenager, die sich wegen des Hasses zwischen ihren Familien nicht lieben dürfen und daran zugrunde gehen. Kein Verona-Kitsch, keine narrative Erzählung, wenige Shakespeare-Zitate.
Harrell geht es nicht um Figuren, sondern um Haltungen, Gefühle. Die Liebe ist ein Feuer, das uns frisst, sagt einer. Männer spielen Frauen, wie zu Shakespeares Zeiten. Mit ihren ganz eigenen Mitteln loten Harrell und seine Compagnie die Gefühlspalette von Trauer, Kummer, Schmerz aus.
Die acht Tänzer und Schauspieler stehen zu Beginn dicht an der Rampe. Wortfetzen fliegen durch den Raum, «Musik», «Schönheit», «impossible», «Respekt». «The tears?», fragt einer. Trajal Harrell beobachtet als Amme das Treiben, wissend, wie es enden wird. «Wherefore art thou Juliet», spuckt er aus. Und der Totentanz beginnt.
Trajal Harrell lässt seine acht Darsteller wie Models den Gräbersteg erobern. Seine dem Voguing entlehnte Tanzsprache entfaltet zu pulsierenden Rhythmen eine Kraft, einen Sog. In Harrells Choreografie werden die vom Glamourposing der Modewelt übernommenen Bewegungsmuster zu puren, mal fliegend leichten, mal brutalen Statements.
Geschlechter verschwimmen, Figuren auch, die mit «Romeo» und «Tybalt» beschrifteten Jacken werden weitergereicht wie auch Juliets Kleid. Dann intime Momente, wenn Harrell als Amme sich tänzerisch dem Schmerz hingibt, oszillierend zwischen Leichtigkeit und Schluchzen.
Der Abend endet berührend, aber ohne Trost. Die Darsteller vereinzelt auf der Bühne, jeder stösst Wünsche aus. «Support me», «like me», «remember me». Erfüllt werden sie nicht. Leben ist Liebe ist Schmerz.