Drei Männer im Pensionsalter, drei Geschichten, wie man nochmals etwas Neues im Leben beginnt. «Almost There» der Filmemacherin Jacqueline Zünd ist ein melancholisch angehauchter Dokumentarfilm, der ans Herz geht.
Freunde hatten Bob davon abgeraten, es sei gegen seinen Lebensstil. Doch nun steht er da und geht die Checkliste für sein Wohnmobil durch. «Wenn ich was tun will, muss ich es jetzt tun», sagt Bob. Eigentlich war es vor allem seine Freundin, die den pensionierten Mann zur Reise durch die USA im Wohnmobil überredet hatte. Doch sie hat ihn verlassen. Und nun bricht Bob eben allein auf. Er weiss nicht recht, ob er dieses Leben auf Rädern mag.
«Ich hätte nie gedacht, dass ich England je verlassen würde», sagt Steve. Doch Blackpool, wo er einst vor vollen Sälen als Drag-Queen und Stand-up-Komiker auftrat, sei ein trauriger Ort geworden. Darum, und weil es dort wärmer und billiger zu leben ist, wandert Steve nach Benidorm in Spanien aus. Hier leben viel alte Menschen in Hotelghettos, und Steve tritt in Cabarets vor britischen Touristen seines Alters auf. «Es ist hier einfacher, Leute zum Lachen zu bringen», sagt er. «Viele sind betrunken, und viele sind alt. Alt zu werden, ist ein gutes Thema für Witze. Und gemeinsam lässt sich darüber lachen.»
«Almost There» ist ein Porträt von drei Männern im Rentenalter, die sich fragen, was nun noch kommen soll. Steve aus Blackpool, Bob aus den USA und Herr Yamada aus Tokio finden dafür unterschiedliche Antworten. 38 Jahre lang hat es für Yamada nur die Arbeit gegeben. Nun ist er pensioniert, kein Teil eines Teams mehr. «Ohne Hobby ist man verloren. Man braucht mindestens zwölf davon», sagt der Japaner. «Man sollte wissen, was man mit dem Rest seines Lebens anfangen will. Doch ich habe keine Idee.» Bis der Pensionierte von einem Bekannten hört, dass Menschen gesucht werden, die Kindern schöne Geschichten vorlesen. Seinen eigenen Kindern hatte Herr Yamada nie vorgelesen.
Die Filmemacherin Jacqueline Zünd hat mit den drei Männern offensichtlich ausführliche Gespräche geführt. Sie lässt ihre drei Protagonisten aber nicht direkt in die Kamera sprechen, sondern fügt die Tonspur ihrer Aussagen zu ungemein atmosphärischen Bildern aus ihrem Leben hinzu. Dabei reizt Zünd das Dokumentarische aus, indem sie diese Bilder sehr bewusst inszeniert. Ihr Kameramann Nikolai von Graeveniz filmt die Protagonisten in ausgesprochen sorgfältig komponierten Breitleinwand-Bildern, er zentriert und isoliert die Protagonisten in den Grossaufnahmen. Zudem nutzen Zünd und von Graeveniz die Architektur der Räume und die Landschaften, um die drei Männer «einzurahmen». Diese Stilisierung wahrt einerseits eine würdevolle Distanz, erreicht andererseits eine berührende Empathie und Nähe zur Lebenssituation von Steve, Bob und Yamada.
Statt schlichter dokumentarischer Abbildung entsteht durch die kunstvolle Inszenierung eine bestechende Bildhaftigkeit für den Stillstand, die Vergänglichkeit und die Einsamkeit. Da blickt die Kamera auf den Hinterkopf von Herrn Yamada, während eine U-Bahn vorbeirauscht, bis nur noch der Kopf im Bild ist, der auf eine Wand mit Reklame blickt. Und Steve rollt in seinem roten Glitzerkleid mit einem Koffer durch die grauen, leeren Gassen von Benidorm. Solche Bilder sagen mehr als viele Worte.
Und doch gibt es noch Worte im Film, die erwähnt werden müssen. Von Sibylle Berg stammen Texte über das Alter und das Altern, die von den unterschiedlichsten Leuten direkt in die Kamera gelesen werden. Darunter eine Wohnmobilfahrerin, die vorliest: «Das Geheimnis, das wir zu finden hatten, ist ein einfacher Satz: Wir wollen nicht sterben.»
Auch wenn der Film von Melancholie durchweht ist, gilt für «Almost There», was Steve einmal sagt: «Mein Leben macht mich nicht traurig, man darf nicht in Selbstmitleid verfallen, dann hat man die Schlacht verloren.»
Andreas Stock
Hinweis
«Almost There» läuft am Donnerstag im Stattkino Luzern an. Am Freitag, 19 Uhr, wird er in Anwesenheit der Regisseurin gezeigt.