Chöre und das Luzerner Sinfonieorchester eröffneten den Reigen der Weihnachtskonzerte im KKL. Ihr Weihnachtssingen zeigte doppelt, wie man Traditionen lebendig erhalten kann.
Urs Mattenberger
Dass Weihnachtskonzerte zur Adventszeit gut besucht sind, obwohl sich das Jahr über die Kirchen zunehmend leeren, könnte den Verdacht aufkommen lassen, es handle sich um eine bloss noch äusserliche Gewohnheit. Aber Gewohnheiten werden eben dadurch zur Tradition, dass sie an ein ausserordentliches Datum gebunden sind. Wie das Rippli-Essen am 24. Dezember in der Weihnachtsgeschichte, in der Peter Bichsel im Alltäglichen über den Unterschied zwischen sinnentleerter Gewohnheit und gelebter Tradition philosophiert.
Am Mittwoch war im – ausverkauften – Weihnachtssingen mit Luzerner Chören und dem Luzerner Sinfonieorchester die vom ehemaligen Tagesschausprecher Charles Clerc erzählte Geschichte ein Beispiel dafür, wie man Traditionen lebendig erhalten kann. Denn alle drei von Clerc mit trockenem Humor gelesenen Geschichten verweigerten weichnächtliche Heile-Welt-Wohligkeit. Das Kind in Robert Walsers «Weihnacht» scherte sich nicht einmal um die Geschenke, Erich Kästner liess seinen Felix für fünf Jahre Reissaus nehmen, als er am Weihnachtsabend rasch den Senf für die Würstchen holen soll.
Die Ironie der Geschichten war ein Kontrapunkt zum zentralen Rahmenprogramm, das grosse Glaubensgefühle beschwor. Gross galt hier schon für den äusseren Aufwand. Der Konzertchor Klangwerk Luzern (der ehemalige Lehrerchor), Mädchenchor und Sängerknaben der Luzerner Kantorei sowie der Kammerchor Luzern brachten 250 Sängerinnen und Sänger auf die Bühne.
Und Luigi Cherubinis Krönungsmesse brachte – abwechselnd unter der Leitung von Mona N. Labbate und Eberhard Rex – das versammelte Stimmenpotenzial prächtig und mitunter durchdringend zur Geltung. Dass hier die Möglichkeiten einer solchen Grossformation exemplarisch vorgeführt wurden, bestätigte den Ausnahmerang, der diesem Weihnachtssingen mit dem Luzerner Sinfonieorchester zukommt.
Die Pointe war, dass man, aus der Perspektive der von Clerc verlesenen Weihnachtsgeschichten, selbst in Cherubinis Glaubensbekenntnis die dunklen Zwischentöne anders wahrnahm. Bereits im Kyrie flammten, von den Chören grandios überwölbt, dramatische Ängste auf. Im Gloria klangen die Moll-Sphären des «Qui tollis» wie eine Vorahnung musikalischer Schauerromantik, im Credo sorgten die Posaunen für Katakombenstimmung wie auf einer Opernbühne. Der Reiz der Partitur besteht nicht zuletzt darin, dass sie neben grossen Tongemälden auch solche kammermusikalischen Feinheiten kennt – bis hin zu den von innen herausstrahlenden Holzbläsern, die auch dank der knappen Streicherbesetzung leuchtscharf zur Geltung kamen.
Während sich die Grenzen einer monumentalen Ad-hoc-Formation am ehesten in fugierten Passagen zeigten, beeindruckte der Chor durch seine aus jugendlichen und Erwachsenenstimmen gemischten Registerfarben und fand auch – berührend im «Dona nobis pacem» – zu tragenden Pianomysterien.
Da klang sie an, die heile Welt, für die im Weihnachtssingen die vom Publikum gesungenen Weihnachtslieder stehen. Auch wenn Rex’ süffige Arrangements – elementar hinreissend im Jubelschluss des «Morgenstern»-Chorals – Irritationen mit einbauten, setzte das Wir-Gefühl der gemeinsamen Lieder den eigentlichen Gegenpol zu Clercs Weihnachtsgeschichten.
Dass sich Cherubinis Messe zwischen diesen Polen bewegte, wirkte wie ein ungefähres Konzept, das freilich nicht den Eindruck der Überlänge verhinderte. Wie wichtig Fragen der Dramaturgie sind, zeigte sich im Unterschied zum Vorkonzert für Familien, wo umgekehrt alle Elemente zu einer Art Adventsdramaturgie gestaffelt wurden – über viele Fenster hinweg zum lange erwarteten Höhepunkt.
Dieser war für Kinder (ab vier Jahren) eine von Jugendlichen des Voralpentheaters von der Orgelempore herunter wirklich «megacool» erzählte und gespielte Engelsgeschichte. Aber es dauerte, abgesehen von der glanzvollen Eröffnung durch Cherubinis Gloria, bis sie zur Sache kam. Das Einüben der – neueren – Lieder, der Beizug von Luzerner Musikschülern im Sinfonieorchester und der Einzug der Kinder der Kantorei erhielten so kaum den Raum, die sie verdienten. Schade etwa, dass die Kinder – mit ihrem berührenden Gesang die heimlichen Stars des Abends – nicht erhöht am Rand hinter dem Orchester platziert wurden.
Als verbindendes Element der beiden Konzerte bewährten sich die Weihnachtslieder. Wenn Moana N. Labbate und Eberhard Rex in ihren sympathischen Moderationen das Publikum zum Mitsingen aufforderten, machte dieses raunend oder aus voller Kehle mit. Da wurde Weihnachten, wie in den von Charles Clerc gelesenen Geschichten, etwas ganz Alltägliches. Und wenn bei den bekanntesten – noch immer «Oh du fröhliche» oder «Stille Nacht» – der ganze Saal «von Herzen» mitsang, wie Rex richtig erahnte, zeigte sich: Nicht nur Innovationen, sondern auch lieb gewonnene Gewohnheiten erhalten Traditionen lebendig.
LUZERNmat. Die Weihnachtskonzerte in Luzern weichen vom gewohnten Rahmen ab. Im Luzerner Theater erzählen – eingebettet in Saint-Saëns’ Weihnachtsoratorium – Flüchtlinge ihre persönliche Fluchtgeschichte (Samstag, 19. Dezember, 19.30). Früher als sonst führt der Chamber Circle sein Weihnachtskonzert in Topbesetzung durch, Händels «Messiah» mit dem Gabrieli Consort (Samstag, 19. Dezember, 18.30 Uhr, KKL). Das Ensemble Corund bringt statt seines traditionellen Messias erstmals Bachs Weihnachtsoratorium zur Aufführung – und zwar nach Weihnachten (Samstag, 26. Dezember, 17 Uhr, KKL). Das Bach-Ensemble, seinerseits auf das Weihnachtsoratorium abonniert, vergoldet Motteten von Bach mit Haydns Trompetenkonzert (Sonntag, 20. Dezember, 11 Uhr, KKL).