Passionen ohne Cüpli-Small-Talk und zum Mitsingen: Die Basler Madrigalisten führen Bachs Johannes-Passion mit neuem Text, das Collegium zu Franziskanern die Matthäuspassion original und als Singalong auf.
Wie in einem Thriller spüren die Verfolger «mit Fackeln, Lampen und mit Waffen» im Garten den Tatverdächtigen auf und nehmen ihn fest. An einen Justizkrimi erinnert die Gerichtsszene, in der Richter und Angeklagter sich über die «Wahrheit» austauschen. Für Action sorgt der Mob, der den Verhafteten verhöhnt und mit einem Hassschrei («Kreuzige, kreuzige!») seinen Tod verlangt. Und nach der Hinrichtung «erbebt die Erde» und öffnen sich «die Gräber» wie in einem apokalyptischen Gruselszenario, obwohl Jesus diesen Tod auf sich nimmt, um ihn und das Leid auch für uns zu überwinden.
Man kann das Geschehen in Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion derart aktuell zusammenfassen. Und es liegt wohl an dieser Verbindung von Spiritualität und Dramatik, dass Bachs Passionen zur Passionszeit gehören wie das Amen in der Kirche. Und natürlich an der Musik, die dramatische Erzählung (in den Evangelisten-Rezitativen), packende Volkschöre, feierliche Gemeinde-Choräle und besinnliche Arien zu grosser geistlicher Oper verbindet.
Das Spektrum an Chor- und Vokalmusik wird immer breiter. Neben den Passionsaufführungen weitet es der Chor der Pädagogischen Hochschule Luzern zur Weltmusik aus. Unter dem Motto «Celtic» singt er irische Volksmusik von Traditionals wie «Auld Lang Syne» bis zum moderneren «Riverdance», begleitet von einer Band mit Geigen, Flöten und Dudelsäcken (Sa, 2. April, 20.00 und So, 3. April, 17.00, MaiHof, Luzern).
Eine Entdeckung ist – und lohnt – noch immer die Musik der Schwestern Nadia und Lili Boulanger. Die Sopranistin Corinna Schranz führt mit ihren impressionistisch gefärbten Chansons die Romantik von Gabriel Fauré weiter (u. a. ein «Chanson d’amour» und das Klavierquartett). Es spielt ein Ensemble um Fabienne Romer (Klavier) und Christina Gallati (Violine; So, 3. April, 17.00, Kunstkeramik, Ebikon). (mat)
Und doch kann deren Aufführung für heutige Hörer zur «Ochsentour» werden, sagt Raphael Immoos, der sich mit den Basler Madrigalisten die Johannes-Passion vornimmt. Den Zugang zu ihr erschwerten deren Länge von zwei Stunden und die frömmlerischen (nicht biblischen) Texte der Arien und Choräle. Gleich zwei Projekte suchen deshalb jetzt einen neuen, unmittelbaren Zugang zu Bachs Passionen.
Immoos hat dafür jene nach Johannes gewählt, weil es von ihr ohnehin keine endgültige Fassung gibt. Schon Bach entsprach bei seinen Aufführungen zur Karfreitagsvesper mit der Textwahl immer mehr dem damaligen pietistischen Zeitgeist. Ein Zugeständnis an unseren Zeitgeist sind die heute üblichen konzertanten Aufführungen. Immoos: «Bach würde sich im Grab umdrehen, wüsste er, dass heute zwischen dem ersten und zweiten Teil, also kurz vor der Verurteilung und Hinrichtung Jesu, mit Cüpli angestossen wird.»
All das bewegte ihn, die Johannes-Passion «neu zu denken». Die einschneidendste Massnahme ist – anstelle der Rezitative – ein neuer, von der Schauspielerin Dorothea Reize vorgetragener Erzähltext des Theologen Theo Schaad. «Er erzählt ausschliesslich in der Gegenwart», sagt Immoos: «Namen und Ortsangaben fehlen, die Geschichte ereignet sich überall und zu jeder Zeit.» Zudem wird das Werk auf 80 Minuten – ohne Pause – verkürzt. Quasi persönlich angesprochen werden die Zuhörer durch die solistische Besetzung des Vokalensembles und des Colla Voce Consort (So, 3. April, 18.30, Pfarrkirche St. Katharina, Horw).
Mehr Unmittelbarkeit schafft auf andere Art Ulrike Groschs Collegium Vocale zu Franziskanern mit der Matthäus-Passion. Hier sind wir, in der Lukaskirche, das Volk der Gläubigen: Besucher sind eingeladen, in den Chorälen mitzusingen, und können sich in vorgängigen Proben darauf vorbereiten (So, 10. April, 18.00, Lukaskirche Luzern).
Vor dieser «Singalong-Version» in der Lukaskirche spielt die Matthäus-Passion im KKL ohne jeden Abstrich die barocke Pracht des Werks aus. Zum Collegium Vocale, der Luzerner Kantorei und dem Capricornus Consort Basel kommen hier international herausragende Oratoriensolisten hinzu. «Im Kontrast zur Johannes-Passion, die den Sieg des Erlösers über den Tod feiert, schafft Bach den Zuhörern in der Matthäus-Passion Raum, um über sich selbst nachzudenken», sagt Grosch. «Was macht uns Menschen aus? Wo liegen unsere Grenzen, woraus schöpfen wir Kraft? Mit solchen Fragen passt das Werk zu fundamentalen Krisen, wie wir sie derzeit durchmachen», sagt sie (Do, 7. April, 18.30, Konzertsaal KKL).
Die zweimalige Aufführung im KKL und in der Kirche ist zudem ein Generationenprojekt: Junge Sänger (zwei Frauen, drei Männer), die im KKL Nebenrollen aus dem Chor heraus singen, treten im Singalong in der Lukaskirche als Hauptsolisten auf. Ein Zeichen dafür, dass diese «Passion für die Menschen» (Grosch) über die Generationen hinweg Bestand haben wird.