KOLUMNE «ÜBRIGENS»: Hundertstel als reiner Zufall?

Urs Mattenberger über die Früchte harten Trainings im Spitzensport. Und die zweifelhafte Rolle des Zufalls.

Drucken
Urs Mattenberger, Kulturredaktor der Luzerner Zeitung. (Bild: Archiv LZ)

Urs Mattenberger, Kulturredaktor der Luzerner Zeitung. (Bild: Archiv LZ)

47 Jahre muss man zurückscrollen, bis man an einem WM-Slalom einen so grossen Vorsprung findet, wie ihn Mikaela Shiffrin in St. Moritz realisiert hat. Und wie hoch ist dieser halbe Jahrhundertrekord?

Gerade mal 1,64 Sekunden lagen zwischen Shiffrins Gold und den total 1:38,91 Minuten, in denen Wendy Holdener Silber einfuhr. Dass die Schwyzerin nur 11 Hundertstel vor Frida Hansdotter lag, bestätigte, wie sehr Siege im Spitzensport im Detail stecken. Bei den zwei Hundertstelsekunden, um die Patrick Küng Abfahrt-Bronze verpasste, sprachen Kommentatoren gar von Zufall.

Zufallsentscheide da, wo das Können auf die Spitze getrieben wird, sind aber nur scheinbar paradox. Je mehr Material und Training optimiert werden, desto mehr rückt die Spitze zusammen. Das bestätigte die Weltmeisterschaft im Schach, wo der Computer übermenschliche Trainingsmöglichkeiten bietet: Nach dem Unentschieden in den Langpartien brachten erst die fehleranfälligen Kurzpartien die Entscheidung für Magnus Carlsen.

Da lobe ich mir Zweikämpfe wie im Tennis, wo sich ein Sieg wie jener von Roger Federer über Rafael Nadal durch nichts relativieren lässt. Und den Amateursport, wo – bis hin zum Kinderfussball – Siege dank erhöhter Fehlerquote euphorisch eindeutig ausfallen können. Wohl deshalb bekommt im Spitzensport der Hattrick fast mythisches Gewicht. Dass Shiffrin nach Gold 2013 und 2015 den Titel-Hattrick realisierte: Das kann, Hundertstelsekunden hin oder her, kein Zufall sein.

Urs Mattenberger
urs.mattenberger@luzernerzeitung.ch