20 Jahre Sammlung Kamm: Die Stiftung öffnet ihre Schatzkiste und beleuchtet das künstlerische Schaffen der Wiener Moderne und ihre Vernetzung mit der westlichen Welt.
Monika Wegmann
Nach der erfolgreichen Ausstellung von Christa de Carouge im Winter, wo die Farbe Schwarz im Zentrum stand, kehren rechtzeitig zum Frühlingsbeginn die Farben wieder ins Kunsthaus Zug zurück. Für die aktuelle Schau «Wien zu Europa», die seit gestern geöffnet ist, sind Werke aus der hauseigenen Schatzkammer geholt worden. Sie repräsentieren die Wiener Moderne und ihre Beziehungen zu Europa. Die meisten Bilder und Skulpturen gehören der Stiftung Sammlung Kamm, welche dem Kunsthaus ihren Bestand als Dauerleihgabe zur Verfügung stellt und heuer das 20-Jahr-Jubiläum feiert.
So darf man sich auf eine Wiederbegegnung mit bekannten Künstlern des letzten Jahrhundert einlassen, beispielsweise in den Werkgruppen von Gustav Klimt, Richard Gerstl, Josef Hoffmann, Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Koloman Moser oder Fritz Wotruba, die gemeinsam mit Arbeiten von Henri de Toulouse-Lautrec, Juan Gris, Fernand Léger sowie von Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, August Macke und anderen gezeigt werden. Im Rahmen dieser Ausstellung ist überdies erstmals in der Schweiz das Œuvre des österreichisch-amerikanischen Universalkünstlers Friedrich Kiesler zu sehen.
An der Medienkonferenz vom Donnerstag hiess Kunsthausdirektor Matthias Haldemann auch Christa Kamm, Stiftungsrätin und Vorstandsmitglied der Kunstgesellschaft, willkommen. Zu Beginn verwies Haldemann auf die wichtige Bedeutung von Privatsammlungen für die Museen und betonte: «Die Sammlung Kamm besitzt rund 400 Werke, die wie ein Stern zu uns gekommen und von einer Qualität sind, die Seltenheitswert hat – eine Herausforderung für das Kunsthaus Zug.»
Mit Blick auf die Ausstellung erläuterte der Direktor, was Wien mit Zug zu tun hat: «Das Ehepaar Kamm hatte den österreichischen Bildhauer Fritz Wotruba während des Kriegs in Zug kennen gelernt und ihn in den Fünfzigerjahren unterstützt.» Für Fritz Kamm leitete Wotruba später die Galerie Würthle in Wien, er hat ihn auch beim Aufbau der privaten Sammlung beraten, welche sich dem Kunstschaffen der klassischen Moderne bis zur Gegenwart widmet. Die Entstehungsgeschichte ist für Haldemann bedeutend, denn inzwischen seien das Kunsthaus und die Stiftung «zum Leihgeber für die ganze Welt» geworden, weil etliche Werke – insbesondere aus dem frühen 20. Jahrhundert – kulturgeschichtlich besonders interessant seien: «Wien war damals für Künstler ein zentraler Ort, doch der Zweite Weltkrieg und der Nationalsozialismus haben vieles zerstört.» Die internationale Vernetzung bestehe heute wieder, dies wolle man erforschen. Ausführlich skizzierte Haldemann die Zusammenhänge und die einzigartige Entstehung des Netzwerkes zwischen Künstlern aus Wien und ganz Europa: «Das ist hochaktuell – auch für die zeitgenössische Kunst.»
Wegen der Vielfalt der ausgestellten Werke, Künstler und Stile sind hier einige von denjenigen erwähnt, welche Matthias Haldemann und Kurator Marco Obrist auf dem Rundgang durch das Haus näher erläuterten. Am expressiven «Gruppenbild mit Schönberg» von Richard Gerstl (1883–1908) verdeutlichte Haldemann die Suche der Künstler vom Anfang des 20. Jahrhunderts nach einem neuen Menschenbild. An den mit Ölkreide, Tusche und Graphit bearbeiteten Fotos von Arnulf Rainer (* 1929) werde die Beziehung zur Gegenwart verdeutlicht. Die Werkgruppe und Arbeiten von Fritz Wotruba wurden von der Stiftung Franz Larese und Jürg Janett geschenkt. Bei den frühen Werken von Egon Schiele, Oskar Kokoschka und Ernst Ludwig Kirche sind der Mensch und speziell der weibliche Körper zentrale Motive. Um die menschliche Figur geht es ausserdem bei Pablo Picasso und Jacques Villon. Besondere Aufmerksamkeit widmet Haldemann den Möbeln und Architekturfotos von Friedrich Kiesler (1890–1965). Denn nicht nur sie sind spannend, sondern ebenso ist es dessen Biografie, die ihn als Architekten, Künstler und spirituellen Visionär ausweist mit einem Faible für Bewegung und dreidimensionale Formen. Diese Werkgruppe konnte vom Kunsthaus zusammen mit der Gemeinnützigen Gesellschaft Zug und der Stiftung Kamm erworben werden.
Ein weiterer Raum birgt ein Konzentrat der Wiener Werkstatt mit Kunst, Design und Möbeln von Josef Hoffmann (1870–1950) und einem bemerkenswerten frühen Porträt von Egon Schiele. «Immer wieder kommen dank Schenkungen und Leihgaben neue Arbeiten dazu, wie die 40 Arbeiten von Gustav Klimt, Egon Schiele und Alfred Kubin, die neu in der Sammlung sind und erstmals ausgestellt werden», so Haldemann. Das Kunsthaus Zug hat sie von der Zürcher Stiftung Coninx als Dauerleihgabe erhalten. «Es geht also weiter.»
Während der Ausstellung finden mehrere Veranstaltungen statt. Mit der neuen «Gesprächsgruppe Kunst» testet das Kunsthaus niederschwellige Zugänge, auch für Personen ohne Kunst- und Museumserfahrung oder mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen.
Hinweis
«Wien zu Europa», Ausstellung im Kunsthaus Zug bis 10. Juni. Öffnungszeiten: Di–Fr 12–18 Uhr, Sa/So 10–17 Uhr. Informationen über Führungen und Begleitanlässe unter: www.kunsthauszug.ch