LITURGIE: Persönlicher und wahrhaftiger

Die Luzerner Theologin Jacqueline Keune (55) sieht in einer zeitgemässeren Sprache grosses Potenzial für die Kirche. Wie sind entsprechende Worte zu finden? Und was macht eine gute Predigt aus?

Andreas Faessler
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Über eine klare, neue liturgische Sprache könne die Kirche neue Menschen gewinnen, sagt Jacqueline Keune.

Über eine klare, neue liturgische Sprache könne die Kirche neue Menschen gewinnen, sagt Jacqueline Keune.

Interview: Andreas Faessler

andreas.faessler@zugerzeitung.ch

Jacqueline Keune, Sie setzten sich für eine zeitgemässe Kirche ein. Ein grosses Anliegen ist Ihnen die angewandte Sprache. Wie beurteilen Sie die Wortwahl in Gottesdiensten ganz allgemein?

Ich höre heute eine andere Sprache, als ich als Kind im Gottesdienst gehört habe. Eine Sprache, die sich um Nähe zum Alltag der Menschen und zum Geschehen in der Welt bemüht. Auch eine, die das Göttliche auf vielfältige Weise benennt – als Kind wurde mir stets von einem allmächtigen alten Mann erzählt. Trotzdem erlebe ich die Sprache in der Liturgie noch immer recht formelhaft, abstrakt oder auch predigend-plätschernd.

Wie könnte die Kirche zu einer zeitgemässeren Sprache finden? Was für Schwierigkeiten stellen sich ihr dabei in den Weg?

Wie tönt eine zeitgemässe Sprache? – Die Poltersprache eines Donald Trump oder die seichte der vielen Internetgefässe ist doch genauso zeitgemäss wie die feinfühlig-präzise einer Hilde Domin. Geht es nicht eher um eine persönlichere, wahrhaftigere Sprache, die mit Leben, mit Erfahrung, auch Glaubenserfahrung, gedeckt ist? Für mich selber ist die grösste Herausforderung der Liturgie, heutige Realitäten mit der Tradition des Glaubens, mit seinen Zumutungen und seinen Zusagen, in einen Dialog zu bringen, der für das Hier und Heute der Menschen fruchtbar, bestärkend und überzeugend ist. Eine Schwierigkeit sind auch die unterschiedlichen Erwartungen. Meine Mutter etwa wünscht sich im Gegensatz zu mir keine neue liturgische Sprache, weil sie in der alten ganz und gar daheim ist und bis heute von ihr geborgen wird.

Denken Sie, dass die Kirche über die Sprache neue Menschen gewinnen könnte?

Ich bin überzeugt davon und erfahre auch, dass wir als Kirche über eine liturgische Sprache, die sich nicht an abstrakten Wahrheiten, sondern konkreten Erfahrungen, und nicht an einem fernen unbewegten, sondern am nahen mitgehenden Gott der Bibel orientiert, neue Menschen und Menschen neu ansprechen können. Mein Schwiegervater, den ich geliebt habe und der ein so herzensguter Mann war, ist an seiner eigenen Beerdigung überhaupt nicht vorgekommen – es hat für die Worte, die der Priester verwendet hat, keine Rolle gespielt, wer da vor ihm im Sarg lag. Die Menschen hören hin und zu, wenn sie und ihre komplexen Lebenswirklichkeiten in unserem Beten und Predigen vorkommen und in einen grösseren Sinn- und Hoffnungshorizont hineingestellt werden. Wenn wir sie als Kirche nicht bloss an ihre Schuld, sondern auch an ihre Schönheit erinnern und auch für ihre Ängste und Bedrängnisse, die ja genauso die unseren sind, Sprache finden.

Sie gestalten auch Gottesdienste mit. Was macht für Sie eine gute Predigt aus?

Ich mag Predigten, die mir zu denken geben und mich gleichzeitig bewegen. Eine gute Predigt macht mich vom ersten Satz an hellhörig und lässt mich bis am Schluss dabeibleiben. Sie hat einen klaren und konkreten Inhalt, und sie hat Zug nach vorne, überrascht mich, lässt mich Neues vernehmen und bezieht Position. Ich mag es, wenn die Texte der Schrift auch mal gegen den gewohnten Strich gebürstet werden. Sogenannt einfache Predigten, die theologisch nicht grosstun, dafür mit innerem Engagement gehalten werden, sind mir oft die liebsten. Was ich nicht mag: wenn Phrasen gedroschen werden und die Predigt mehr einer Vorlesung gleicht, wenn mir durch Verallgemeinerungen Bedürfnisse und Gefühle untergejubelt werden oder wenn der Auftritt wichtiger ist als der Inhalt.

Was braucht es Ihrer Meinung nach neben einer zeitgemässeren Sprache noch, dass die Kirche an Glaubwürdigkeit gewinnt und das Vertrauen der Menschen (wieder) erhält?

Mitarbeitende, die bescheiden und verträglich leben und nicht nur ihr Privatglück, sondern auch etwas vom Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit zu verwirklichen suchen. Kirche als Solidargemeinschaft und Glaube als erfahrbare Lebenspraxis. Pfarreien, die Auffangnetze für Gestrandete und Tischgemeinschaften mit Fremden sind; die Räume für religiöse Auseinandersetzung bieten; die zu Gesprächsrunden und zu Gottesdiensten einladen, in denen wir unsere Alltage vor Gott bringen, unsere Hoffnung miteinander teilen und uns – als Coiffeur und Abwartin und Theologin – gegenseitig die Schrift auslegen. Ich glaube, dass wir als Kirche noch sehr viel Energie und Geld in Verbrauchtes investieren. Und hätte ich noch ein paar Wünsche frei, dann wünschte ich mir ein einfaches Verwaltungszentrum anstelle der Kurie, die verbriefte Gleichberechtigung der Frauen auf allen kirchlichen Ebenen und eine radikal-jesuanische Revision der Grundlagen – des Katechismus und des Kirchenrechts.

Jacqueline Keune (*1961), Freischaffende Theologin: «Die Sprache in der Liturgie ist immer noch recht formelhaft.» (Bild: PD)

Jacqueline Keune (*1961), Freischaffende Theologin: «Die Sprache in der Liturgie ist immer noch recht formelhaft.» (Bild: PD)