An diesem Wochenende kommt das 31. Luzerner Literaturfest zur vollen Blüte. Aber schon der Leseparcours-Auftakt am Donnerstag war nahrhaft.
Pirmin Bossart
Rundherum Gestelle mit Büchern, gedämpftes Licht aus tief hängenden Leuchten: Ein Ambiente wie geschaffen, um sich in Literatur zu versenken. Im Lesesaal der Zentral und Hochschulbibliothek Luzern (ZHB), fand am Donnerstag der Auftakt zum Literaturfest «Luzern bucht» statt. Er war sympathisch in Szene gesetzt, aber mit dreieinhalb Stunden eine kleine Überforderung. Am Ende ging man erschlagen nach Hause, die furchtbar traurige Geschichte von Erwin Koch im Kopf.
Die Veranstalterinnen Leslie Schnyder (Präsidentin Literaturfest) und Ina Brückel (Programmverantwortliche ZHB) wollten mit diesem nahrhaften Parcours zeigen, «wie vielfältig das heimische Schaffen sein kann», wie Leslie Schnyder bei der Begrüssung sagte. Nach Ina Brückel, die den Abend liebevoll und souverän moderierte, soll der Donnerstag zur «Plattform für die Zentralschweizer Literatur» werden.
Drei Autoren und zwei Autorinnen lasen aus ihren aktuellen Werken. Sie lasen und lasen. Und das Publikum, das den Lesesaal der ZHB schön ausfüllte, sass still auf den Stühlen und lauschte. Natürlich stellt man sich ein «Literaturfest» anders vor. Aber das Zielpublikum von «Luzern bucht» will es nicht anders. Dieses nüchterne Dasitzen und meditative Sichhingeben, das ist das Fest.
Leider waren die Reihen schon etwas gelichtet, als Erwin Koch als letzter Autor auf die Bühne trat und mit seiner himmeltraurigen Liebesgeschichte von Angela und Andrei aus Moldawien diesen Literaturabend doch noch aus den Angeln hob. Er tat dies nicht mit markigen Worten, verrückten Szenarien oder einer flockigen Performance, sondern allein mit der Gestaltungskraft und Präzision seines Schreibens.
Koch gehört zu jenen wenigen brillanten Schreibern, die mit ihrer Nüchternheit und ihrer detailklaren Beobachtung auf ein paar Seiten mehr Emotionen transportieren als manch dickwanstiger Aufschrei zwischen zwei Buchdeckeln. Kommt dazu, dass Kochs Geschichten «wahre Geschichten» sind. Wie diese existenzielle Geschichte von Angela und Andrei. Sie ging einem unter die Haut wie nichts anderes.
Überhaupt war an diesem Abend das literarisch verarbeitete Elend recht ergiebig. Die gebürtige Bulgarin Evelina Jecker-Lambreva schilderte in nüchternem Ton beklemmende Auszüge aus ihrer osteuropäischen Familiengeschichte. «Vaters Land» heisst ihr erster, auf Deutsch geschriebener Roman, in dem sich die in Luzern als Psychiaterin praktizierende Autorin, auf die Spuren ihres Vaters begibt: Ein patriarchalischer und zorniger Mann mit konfliktreichen Beziehungen, aber auch gedemütigt von einer schwierigen Kindheit und Jugend.
Eine harte Realität aus dem frühen 20. Jahrhundert liegt auch dem Roman «Bajass» von Flavio Steimann zugrunde. «Es ist ein Roman, der vor lauter Atmosphäre fast zu platzen droht. Ganz grosses Kopfkino», stellte Ina Brückel das Werk vor. Steimanns Auszüge, in denen man die Anschaulichkeit einer dichten Sprache spürte, machten in der Tat neugierig auf das Buch. Vergleichsweise lapidar formuliert die junge Zuger Autorin Olivia Weibel in ihrem Roman «Anna und wir» die Geschichte von zwei Schwestern, die eine schmerzvolle Familiengeschichte offenlegt.
Christian Gasser hatte in Anbetracht von soviel Kummer und Strenge leichtes Spiel mit seinem heiteren und schön ironischen Finnland-Roman «Rakkaus!». Es war das einzige Mal, dass im Publikum gelacht wurde. Gasser erzählt nicht nur locker und pointiert, er kann auch gut lesen, was bei solchen Veranstaltungen die halbe Miete ausmacht. Wenn nicht die ganze: Denn eigentlich entfalten Bücher ihre Wirkung erst, wenn man sie liest. Ganz für sich selber.
Hinweis
Samstag, ab 19 Uhr; Literatur im Neubad (mit Roman Ehrlich, Simone Lappert, Hanna Johansen, Guy Krneta, Thomas Hürlimann)
Samstag und Sonntag (12 bis 17 Uhr): Buchmarkt in der Kornschütte mit «Literatur auf dem Sofa» (Samstag: Sabine Graf, André Winter, Katrin Blum, Nik Flütsch, Hanna Johansen, Max Wechsler. Sonntag: Simone Lappert, Meinrad Buholzer, Julian Wettach, Martina Emmenegger, Walter Schüpbach).
Weitere Informationen: www.literaturfest.ch