Die Luzerner Schüür wird 25 Jahre alt. Der ehemalige Geschäftsführer Thomas «Gisi» Gisler erinnert sich an Schönes und Schlimmes und blickt in die Zukunft.
Mit Thomas Gisler sprach Michael Graber
«Lieber eins zu viel als eins zu wenig. Das ist eigentlich der einzige Tipp, den ich meinen Nachfolgern mitgegeben habe. Machen, probieren, testen. Diese Beharrlichkeit und Konsequenz ist etwas, was die Schüür immer ausgezeichnet hat. Wenn andere Kulturhäuser dreimal überlegten, ob sie dieses Konzert jetzt auch noch machen sollen, haben wir das Motto gehabt: Machen, einfach machen.
Natürlich hat nicht alles funktioniert. Das ist ja leider nie so im Leben. Aber nur wer ständig auf dem Radar bleibt, der wird nicht vergessen. Genau darum ist es auch so wertvoll, dass die Schüür heute keine Sommerpause mehr macht. Bis die Leute jeweils merken, dass das Haus wieder offen ist, ist schon längst Herbst. Ich glaube, dass auch durch diesen Mut die Schüür heute auf gesunden Beinen steht.
Das war nicht immer so: Ich erinnere mich durchaus auch an dunkle Zeiten. Dort haben wir ein paar Mal eine «All you can drink»-Party organisiert. Beziehungsweise: organisieren müssen. Die waren rasch ausverkauft und haben dafür gesorgt, dass wir die Rechnungen wieder bezahlen konnten. Zumindest bis zur nächsten solchen Party. Da bin ich dann jeweils um 4 Uhr morgens im Saal gestanden, der Boden war übersät mit Plastikbechern, alles war klebrig, es hat fürchterlich gestunken. Das war grauenhaft. Das hat keinen Spass gemacht. Zum Glück hat uns dann die Stadt Luzern verboten, solche Partys zu machen, und wir mussten andere Wege suchen, die wir dann glücklicherweise auch gefunden haben.
Was ich an der Schüür auch ausserordentlich schätze, ist die Tatsache, dass alles Platz hat – also eben abgesehen von solchen «All Inclusive»-Partys. Hip-Hop-Feste, Metal-Konzerte und, das wird oft vergessen, auch diverse Firmenanlässe. Die Schüür ist offen. Das wird ihr ja teilweise auch vorgeworfen in der Szene: Da haben Kommerzanlässe genauso Platz wie Indie-Konzerte. Die Schüür muss eine Plattform für alle Spielformen bleiben. Sie muss ein bisschen wie die Migros sein: kein Spezialitätenladen, sondern ein Shop, der alles im Angebot hat. Die Qualität muss aber natürlich schon stimmen. Nicht M-Budget, aber auch nicht unbedingt die teure Linie.
Lange hat die Schüür auch von der wahnsinnig lebendigen Musikszene in Luzern profitiert. Jede Band wollte ihre Plattentaufe bei uns machen, und die war dann auch fast immer voll. Zu Bestzeiten konnte man an einem Abend einfach drei Luzerner Bands auf die Bühne stellen, und das Haus war voll. Mittlerweile ist das etwas abgeflaut. Die Begeisterung für Livemusik kommt und geht jeweils in Wellenbewegungen. Momentan sind die elektronischen Acts angesagt, die wir in der Schüür nie wirklich hatten. Ich bin mir aber sicher, dass die Welle wiederkommen wird. Und das neue Booking-Team ist auch ein bisschen besser aufgestellt in Sachen Electronic und so.
In der Schweiz ist die Schüür bei den etablierten Kulturhäusern. Jede grössere Schweizer Band kennt das Lokal. Es spielt etwa in einer Liga mit dem Kofmehl in Solothurn, dem Kiff in Aarau oder dem Salzhaus in Winterthur. Es ist sicher eine gute Adresse. Bei Bands aus dem Ausland muss man sich nichts vormachen: Die kennen die Schüür meistens nicht, zumindest wenn sie sie zum ersten Mal besuchen. In der Schweiz kennen die, wenn überhaupt, Zürich. Wir haben aber immer sehr gutes Feedback erhalten und, so glaube ich, auch einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Vor allem der Konzertsaal mit dem Mischpult, das ein bisschen wie ein UFO aussieht, hat viele Bands fasziniert. Es gab auch andere schöne Ereignisse: Eine Band war ab unserer Technikerin so begeistert, dass sie sie am nächsten Tag gleich auf Europatournee mitgenommen hat. Solche Sachen sind rückblickend schon grossartig.
«Was die Bands im Backstage treiben, bleibt im Backstage», sagten wir jeweils. Dabei ist es da gerade in den letzten Jahren eher ruhig geworden. Die meisten grossen Bands reisen nach der Show sofort weiter und haben so keine Zeit für Groupies oder andere Exzesse. Natürlich gab und gibt es Geschichten. Meistens sind daran aber eher lokale Bands beteiligt, die bis in die frühen Morgenstunden sitzen bleiben.
Ich wünsche der Schüür für die nächsten 25 Jahre, dass sie ihren Mut behält und weiter auf Livemusik setzt. Ich glaube nicht, dass irgendwann das Konzerterlebnis ersetzt werden kann. Klar, kann man Konzerte in ein paar Jahren vielleicht mit Virtual-Reality-Brillen aus der ganzen Welt miterleben. Ich denke aber, dass das nie den echten Besuch eines Clubs ersetzen kann. Man muss den Bass spüren, man muss das Bier riechen, und man muss auch merken, wie heiss es werden kann. All das bietet die Schüür.
Und das kann sie auch noch in fünf, zehn oder hundert Jahren bieten. Zuerst aber sollten wir feiern, dass sie es überhaupt 25 Jahre lang geschafft hat. Viele andere Konzerthäuser sind in dieser Zeit eingegangen. Darauf kann man durchaus auch ein Bier trinken. Auch hier: Lieber eins zu viel als eins zu wenig!»
Hinweis
Thomas «Gisi» Gisler (41) war von 2003 bis 2016 erst Booker, dann Programmleiter und anschliessend Geschäftsführer der Luzerner Schüür. Heute arbeitet er als Booker beim Blue Balls Festival.