Zum Abschluss der Opernsaison inszeniert Lydia Steier mit Pascal Dusapins «Perelà» noch einmal zeitgenössische Oper. Und löst den Anspruch ein, moderne Musik visuell und mit Spektakel nahbar zu machen.
Am Ende landen alle wieder auf Feld eins. Nackt verschwindet der Mann in der Röhre. Geschlagen verdampft das göttliche Wesen nach oben, dem Himmel entgegen. Nur die erdenschweren roten Stiefel bleiben zurück. Asche zu Asche und Rauch zu Rauch. Und die Menschen? Sie haben wieder einmal nichts gelernt. Gottes Sohn ist weg. Der Wanderzirkus zieht weiter.
So poetisch und ruhig sich in Pascal Dusapins Oper «Perelà, uomo di fumo» Anfang und Schluss in einem Kreise finden, so kraftvoll und verrückt ist die Handlung dazwischen. Sie ist ein pressender Sturm, die Premiere vom Sonntagabend im Luzerner Theater.
Für seine vierte Oper stützte sich der französische Komponist (*1955) auf einen Text des italienischen Futuristen Aldo Palazzeschi. Es ist die Geschichte über einen aus Rauch gemachten «Menschen», in welcher der Komponist selber «viele Parallelen zur Christus-Figur» sieht. Vom Himmel steigt er herab. Ahnungslos mischt er sich unter die Irdischen. Nichts ist er, nur «leggero» (leicht).
Doch gerade in diesem Nichtsein liegt seine Kraft. Als Projektionsfläche für jedermann und -frau wird er vom Volk zuerst als Überwesen verehrt, dann verachtet, bestraft und verjagt. Dazwischen geht es um Geld, Macht, Religion und – natürlich – die Liebe. Alles schon mal da gewesen.
Doch die Regisseurin Lydia Steier macht aus diesem Alltag ein opulentes Fest für Auge und Ohr. Schrill sind die Maskierungen und Verkleidungen, für die Gianluca Falaschi 2015 von der Zeitschrift «Opernwelt» den Titel «Kostümbildner des Jahres» erhielt.
Die Aufführung in Luzern ist ja eine Zusammenarbeit mit dem Staatstheater Mainz, wo Lydia Steier das Werk damals inszenierte. Bunte Stoffe, breite Hüte, Hörner, lange Schleppen, Pappnasen, Bärte – ständig gibt es, was zu sehen. Ein bunter Kuchen aus «Alice im Wunderland», «Maleficent» und «Aschenbrödel».
Das Handeln und Springen der Figuren ist nicht weniger stürmisch. Schwatzhaft und überdreht wuschelt das tolle Volk. Auf drei Stockwerken versuchen der Banker, der Philosoph oder der Erzbischof den Gast für ihre Zwecke einzuspannen. Kreisel, die sich unermüdlich um ihre eigenen Achsen drehen. Der Mensch als Spasstier und Herdenläufer. Oberflächlich und selbstverliebt.
Absichtlich Falschbetonungen beim italienischen Singen verstärken dieses fastnächtliche Treiben. Ein maskenhaftes Figurenspiel, in dem die Darsteller in ihren Rollen erstarren. Dies ist manchmal witzig. Zum Beispiel wenn die tratschenden Kaffeemenschen exzessiv ihre Löffel in der schablonenhaften Tasse drehen. Teils etwas gar plakativ, wenn der Bischof in Dauererregung sein Kreuz leckt.
Die Inszenierung lebt aber auch stark von Kontrasten. Der Rauchmensch Perelà, sein luftiges und staunendes Wirken und sein schlichtes Gewand sind Fremdkörper in all dem Überfluss. Der Tenor Ziad Nehme gibt dieser Figur mit seinem hervorragenden Spiel Zerbrechlichkeit und Grösse zugleich. Mit schlanker Stimme transportiert er auch vokal die Zwischenwelt des Geistwesens.
Die plappernde Königin (eine überzeugende Misaki Morino) wird durch den Papageien und seine ständigen «Gott»-Rufe blossgestellt. Die Musik befindet sich eine Hälfte lang auf Konfrontationskurs mit diesem Lunapark.
Wäre der Abend ein reines Sprechtheater, würden die holzschnittartigen Gesichter, die clownesken Bewegungen und die plakativen Stereotype schnell ermüden. Aber das lebendig zeichnende Orchester unter der Leitung von Hermann Bäumer setzt einen Gegenpol. Die Sekundenintervalle des Anfangs oder die drohende Untermalung bei den Lustszenen sprechen eine eigenständige Sprache und nehmen das böse Ende bereits vorweg.
Eine Sprache, die im zweiten Teil immer mehr zusammenwächst. Die farbigen Kostüme werden durch schwarze Grundtöne ersetzt. Die Inszenierung wird kompakter. Das wilde Durcheinander weicht einer sich zuspitzenden Dämonie.
Meterhoch thront der Richter über allen, hervorragend interpretiert von Christian Tschelebiew. Die liebende Marquise di Bellonda – die Mezzosopranistin Marcela Rahal setzt an diesem Abend mit ihrer reichen Gefühlswelt das stimmliche Glanzlicht – verteidigt ein letztes Mal den gefallenen Engel. Doch nichts hält das Toben auf. Verschwinden muss der Jesus. Ab durch den Siphon, ins Niemandsland. Es ist eine zweite Hälfte aus einem Sog, die mitreisst und packt.
Mit dieser letzten Opernpremiere der Saison setzt die Regisseurin Lydia Steier ein wuchtiges Zeichen. Ihren Anspruch, moderne Musik visuell und mit Spektakel nahbar zu machen, hat sie zu 100 Prozent umgesetzt – wie bereits zu Beginn der Spielzeit mit Mauricio Kagels Antioper «Staatstheater». Aber «Perelà» zerstört die Oper nicht, sondern zeigt, gerade in dieser Inszenierung, attraktive, für alle verständliche Wege in die Zukunft dieser Gattung auf.
Hinweis Vorstellungen: 4., 19., 25., 12. Mai, 10., 12. Juni, Luzerner Theater. www.luzernertheater.ch