Gerard Jones verlängert am Luzerner Theater Mozarts «Figaro» mit britischem Humor in die Gegenwart.
Als einen Höhepunkt der Operngeschichte bewarb der Co-Leiter der Opernsparte, Lars Gebhardt, Mozarts «Le nozze di Figaro», als sich das neue Sängerensemble des Luzerner Theaters mit Auszügen aus dieser Musikkomödie vorstellte. Unter anderem, weil sie mit ihren labyrinthisch wuchernden Ensembles über starre Opernkonventionen hinweg die Freiheit musikalisch umsetzt, die das Stück inhaltlich fordert: Mit verwickelten Intrigen gegen einen Grafen, der gegenüber der Zofe Susanna das obsolete Recht auf die erste Nacht durchsetzen will.
Geschrieben vor der Französischen Revolution, hatten das Stück von Beaumarchais und Mozarts Oper politischen Sprengstoff. Ein Graf, dem die Kontrolle über die Liebeswirren entgleitet, das Dienerpaar Figaro und Susanna, die ihn zusammen mit der vernachlässigten Gräfin an der Nase herumführen, und lebhafte Nebenfiguren, die mit ihren individuellen Interessen das Komplott weiter verkomplizieren, bevor sich der Knoten löst. Mit alledem führt die Oper in wirbligem Tempo eine feudale Gesellschaft vor, deren Ordnung in Auflösung begriffen ist.
Die zeitlose Aktualität des Stoffs und des Stücks liegt darin, dass sich daran bis heute nichts geändert hat, weil über alle Revolutionen hinweg jede gesellschaftliche Ordnung neue Abhängigkeitsverhältnisse schafft. So sagt es der englische Regisseur und Opernregiepreisträger Gerard Jones, der den «Figaro» mit «britischem Humor» (Gebhardt) in Luzern inszeniert.
Als erste Anregung dazu kamen Jones Menschen in den Sinn, «die für Menschen arbeiten»: «Die meisten Menschen arbeiten ein Leben lang für jemanden anders, nie nur für sich selbst. Das heisst, sie sind in einem dauerhaften Abhängigkeitsverhältnis, welches die Möglichkeit des Missbrauchs mit sich bringt: «Wenn wir an #MeToo denken, wodurch immer mehr sexuelle Übergriffe aufgedeckt werden und Machtmissbrauch öffentlich gemacht wird, sehen wir, dass diese Thematik auch heute von grosser Wichtigkeit ist.»
Weil gesellschaftliche Hierarchien und Macht heute nicht mehr über Geburt und Adel, sondern über Geld definiert werden, verlegt Jones das Geschehen in die Gegenwart. Den Mief der Sechzigerjahre, in denen Sexismus wie in alten James-Bond-Filmen noch erlaubt war, repräsentiert das Haus des Grafen. Die aufsässigen Bediensteten gehören einer Generation an, die sich nach der sexuellen Revolution für vermeintlich frei hält und doch – wie wir heute – «im System gesellschaftlicher Vereinbarungen» gefangen bleibt. Nur Figaro ahnt, dass, so Jones, «die Revolution nie stattfinden wird».
Eine solche ist immerhin, dass die Premiere von einer Frau geleitet wird, der aufstrebenden britischen Dirigentin Gabriella Teychenné (28). Bei der erwähnten Präsentation dirigierte sie die «Figaro»-Auszüge bei aller Akzentfreude so klangvoll, dass diese zum rauschenden Fest mit allen Sängerinnen und Sängern des Ensembles wurden.
Premiere: Samstag, 30. Oktober, 19.30 Uhr, Luzerner Theater, Luzern; weitere Infos finden Sie hier.