Luzerner Theater
Tanz Luzern startet erfolgreich in die Spielzeit unter neuer Leitung

Was die Choreografen Muhammed Kaltuk und Mthuthuzeli November sowie die Choreografin Inbal Pinto verbindet? Ansteckende Bewegungsfreude, von einem vielseitigsten Ensemble aufs Publikum übertragen. Die Premiere am Freitagabend war eine 1,5-stündige Feier.

Edith Arnold Jetzt kommentieren
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Tranceartige Bewegungen mit kraftvoller Energie: Szene aus der Choreografie «Umoya» des Südafrikaners Mthuthuzeli November.

Tranceartige Bewegungen mit kraftvoller Energie: Szene aus der Choreografie «Umoya» des Südafrikaners Mthuthuzeli November.

Bild: Caroline Minjolle

Durch Mthuthuzeli November wähnt man sich im Luzerner Theater auf einmal in Südafrika. Ganz ohne Reiseeinschränkungen und Emissionen. Womöglich sogar in jener isolierten Township, 200 Kilometer von Kapstadt entfernt, aus welcher der junge Choreograf stammt. Trotz Armut soll er glücklich aufgewachsen sein. Denn das Lebenselixier seiner Mutter, der Brüder und Cousins ist der Tanz. Vor allem zu Kwaito, verzerrten House-Beats, und Pantsula bewegt man sich. Bei Mthuthuzeli kommt später eine Ballettausbildung hinzu. In London tanzt und choreografiert «MTutu» inzwischen fürs Ballet Black. Mit «Ingome» holt er sich 2020 sogar den Laurence Olivier Award für Best New Dance Production.

Mit jedem Muskel im Flow

Nun ist er, in der ersten Tanzproduktion am Luzerner Theater unter der Tanzleitung von Wanda Puvogel, erstmals im deutschsprachigen Europa zu erleben. Das Tanz-Luzern-Ensemble wogt voll im archaischen Rhythmus, gibt zur perkussiven Musik von Mthuthuzeli November Laute von sich. Zusammen will man den «Geist der Angst» vertreiben. Die Bühne ist schummrig, oranges Licht erhellt die Mitte wie ein Lagerfeuer. 13 Tänzerinnen und Tänzer bilden im Kreis einen Gesamtkörper, aus dem Einzelne herausschreiten. Allen voran ein ekstatischer Carlos Kerr Jr., der mit jedem Muskel im Flow ist. Seine Auserwählte, Phoebe Jewitt, schwingt zusätzlich ihre langen Haare. Sogar die kahlen Baumstrünke, alle individuell gestaltet, wirken mit der Zeit lebendig, auch durch Lichtprojektionen (Bühne: Jann Messerli, Licht: Clemens Gorzella).

Erdige, tranceartige Bewegungen, bei denen kraftvolle Energie wichtiger ist als Perfektion in den Fingerspitzen. Ganz anders der zeitgenössische Tanz der israelischen Choreografin Inbal Pinto, bei dem Ästhetik, Kunst und Humor in den kleinsten Bewegungen entdeckt werden können. Begonnen hat die Triologie mit einer wilden Choreografie des jungen Muhammed Kaltuk aus Basel, der zu Mani Matter, türkischer Musik und Hip-Hop gestikulieren lässt. Wanda Puvogel, die neue Tanzdirektorin, zeigt unterschiedlichste Spielarten: «Die Produktion vereint bewusst zwei Choreografen und eine Choreografin, die in geografischer und künstlerischer Herkunft kaum kontrastreicher sein könnten», schreibt sie im Programmheft. Auch das Künstlertrio hat sie zum Austausch angeregt, was ein heiteres Bild bezeugt.

Explosiv und filigran

Mischt wild Hip-Hop mit Schweizer und türkischen Einflüssen: Muhammed Kaltuks Choreografie zu Mani Matter.

Mischt wild Hip-Hop mit Schweizer und türkischen Einflüssen: Muhammed Kaltuks Choreografie zu Mani Matter.

Caroline Minjolle

Zurück auf die Bühne: Bei Muhammed Kaltuk treffen unter einem magischen Schleier respektive einem 9 mal 11 Meter grossen Fallschirmseidentuch seine Herkünfte aufeinander. Er baut Klischees auf und ab. Eine total verhüllte Frau entpuppt sich als androgynes Wesen. Der sich in den Himmel verflüchtende Stoff leuchtet auf einmal rot wie die türkische oder schweizerische Nationalflagge.

Bei Inbal Pinto erscheint eine Tänzerin in einem roten Kleid vor einem Gemälde von Lucas van Valckenborch (1535–1597). Dieses hängt bühnenbreit wie ein Vorhang. Während die Tänzerin in der Öffnung verschwindet, taucht eine andere auf, identisch gekleidet. Es ist ein Kommen und Gehen; bald sind vier Tänzerinnen und vier Tänzer beim Landschaftsbild involviert. Sie halten einander den Vorhang auf, stellen sich ein Bein oder lieben sich vorne und hinten durch. Zu diesem herrlichen «Kaleidoskop des Menschseins» pfeifen Vögel aus hellsten Kehlen. Wenn der Gesang in Flamenco, besser Zapateados übergeht, wirken die Kleider wie rote Tücher. Dann stimmt die kubanische María Teresa Vera ihren Klassiker «Veinte Años» an. Die Darstellenden, inzwischen in neutralen Shirts, teilen sich ein bemaltes Kleid, das sie einander kunstvoll überstülpen – bis sie sich darum zu reissen beginnen.

Zu Flamencomusik lässt die israelische Choreografin Inbal Pinto die Kleider wie Tücher flattern.

Zu Flamencomusik lässt die israelische Choreografin Inbal Pinto die Kleider wie Tücher flattern.

Caroline Minjolle

Wieder in der Quarantäne

Damit ist der Start von Wanda Puvogel als Leiterin der Tanzsparte am Luzerner Theater geglückt. Die Tanzdirektorin zeigt sich stilistisch weltoffen und lokal umsichtig. In ihrer Rede dankt sie der Theateradministration für die Ermöglichung der Visa in solch komplizierten Zeiten. Inbal Pinto ist inzwischen wieder in einer Quarantäne in Tel Aviv. Mthuthuzeli November fliegt nach London zurück. Nach seinem Stück, am Ende des Abends, gibt es Standing Ovations auch für die Tänzerinnen und Tänzer. Wanda Puvogel hat von Kathleen McNurney ein heterogenes Ensemble übernehmen können, das sich auf hohem tänzerischen Niveau bewegt.

«From Human to Kind» im Luzerner Theater, weitere Aufführungen: 6., 9., 10., 15., 16., 19., 30. Dezember, 16. und 21. Januar, www.luzernertheater.ch

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