MUNDART-POP: Mit ihm ging ein Stück Identität

Mit Polo Hofer verbinden die meisten Deutschschweizer einen Teil ihrer eigenen Lebensgeschichte. Der Berner Musiker starb am 22. Juli. Es gibt viele Nachfolger, aber keinen Ersatz.

Arno Renggli
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Polo Hofer in seinem Heimatort Oberhofen am Thunersee. (Bild: Mareycke Frehner (31. März 2015))

Polo Hofer in seinem Heimatort Oberhofen am Thunersee. (Bild: Mareycke Frehner (31. März 2015))

Arno Renggli

arno.renggli@luzernerzeitung.ch

Polo Hofer wusste, dass das Ende nahte. Und so schrieb er die Todesanzeige noch selbst, bevor er zu Hause in Oberhofen am Thunersee starb: «Tschou zäme, es isch schön gsy», heisst es darin.

Darin kommt Lebensphilosophie nahezu perfekt zum Ausdruck: Das Leben geniessen, in vollen Zügen, manchmal gar ein bisschen überbordend, und letztlich nichts bereuend, auch versöhnt mit dem Abtreten als erst 72-Jähriger. Polo Hofer war eben nicht nur ein Musiker, der (zusammen mit kongenialen Partnern) unsterbliche Mundartklassiker geschrieben hat. Er war ein Mensch, der die Gesellschaft bewegte, als Vorbild, als Feindbild, als Reizfigur. Weil er immer Polo war, authentisch halt. Sogar in Zügen, die nicht nur sympathisch waren, etwa wenn es um seine – sagen wir es mal auf nette Art – Geschäftstüchtigkeit ging.

Er zeigte seine Ambivalenz zur Schweiz unverblümt

Überhaupt: Er hatte halt auch ein Flair fürs Kommerzielle der Musik. Eine Nase dafür, welche Themen das Land bewegten und wie er sich dazu positionieren konnte. Das tat er dann unverblümt, er konnte es sich leisten. Und im ambivalenten Verhältnis, das er zur Schweiz hatte, wurde er auch zu einem Spiegelbild unserer Gesellschaft.

Auch musikalisch hatte er einen Spürsinn, welche Quellen und Stile er aufgreifen und verarbeiten konnte. So war er selber kaum ein im eigentlichen Sinn origineller Autor, sondern ein brillanter Verarbeiter. Er nahm etwas und machte es sich zu eigen. «Musikalisch bin ich eigentlich eine Pfeife», sagte er einmal. «Aber ich weiss dafür, wo die Musik herkommt.» Polo war ein grosser Musikfan, hörte sich viele Platten an, kannte sich in der Geschichte des Blues, Gospels, Souls, Rocks oder Pops aus.

Fast jeder, der im Kulturraum des Schweizerdeutsch zu Hause ist, verbindet mit Polo Hofer Erinnerungen aus gewissen Lebensphasen. Bei mir persönlich waren es besonders Kindheit und Jugend und damit eher die älteren Songs, die mir geläufig und vertraut waren. Als ich bei unserer Berichterstattung zu Polo Hofers Tod schrieb, dass ich einmal als Mitglied einer jugendlichen Vorband vor Polo auftreten durfte, meldeten sich viele Leute, die das Konzert damals auch gesehen hatten. So auch zwei der Veranstalter, die das Ganze noch etwas detaillierter in Erinnerung hatten. Polo war damals – es war in den Achtzigern – Rock ’n’ Roll pur. Eine Klausel im Engagementsvertrag hielt fest, dass er und seine Band kostenlos trinken durften, was und so viel sie wollten. Was sie im Geräteraum der Dreifachturnhalle auch taten und dann ziemlich angeschlagen an den Barren herumhingen. Laut Zeugen schaffte Polo Hofer dann aber an jenem Abend doch einen recht guten Auftritt, derweil das eine oder andere Bandmitglied fast von der Bühne fiel.

Auch das war eben Polo: das Bacchantische, das ihn aber nicht von der Professionalität abgehalten hat. Sicher musste er in den späteren Phasen seines Lebens kürzertreten, hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, was ihn nie davon abhielt, mit dem für ihn typischen Humor seine Weltsichten darzulegen.

Die Basis für die heutige Vielfalt

Aber am Ende muss jede Würdigung von Polo Hofer wieder bei der Musik landen. Natürlich war er nicht der Erste, der Schweizer Mundart-Pop machte. Aber er professionalisierte diesen erfolgreich. Und schuf damit die Basis auch für andere, für die heute doch sehr vielfältige Mundart­szene, die mit Acts wie Kunz, Lo & Leduc oder Nemo auch ganz neue Formen ausprobiert. Hätte es solches ohne Polo Hofer gegeben? Natürlich eine rein theoretische Frage. Sicher aber war er das Vorbild und der Mutmacher für viele. Er zeigte in einer englisch geprägten Popkultur, dass man mit Mundart auch gut verdienen und leben konnte.

Jetzt ist er nicht mehr da. Hinterlässt als Musiker und gesellschaftliches Aushängeschild eine Lücke, die keiner ausfüllen kann. Aber vielleicht eine ganze Musikszene gemeinsam. Und jeder von uns ein bisschen. Mit dem Mut, sich selber zu sein. Und für seine Haltungen einzustehen.