Am Anfang war ein Schrei. Und am Ende wars die Lunge. Mit Joe Cocker verstarb gestern einer der grössten Rocksänger aller Zeiten.
Der Schrei: Er erklang am letzten Tag des Woodstock-Festivals, am 18. August 1969. Der Brite Joe Cocker, damals 25, interpretierte die beschauliche Beatles-Nummer «With A Little Help From My Friends» und machte daraus quasi einen neuen Song. Einen mit Feuer, mit Seele, und genau aus dieser tiefsten Seele, nach der Textzeile «Do You Need Anybody», nach 3 Minuten 50 Sekunden, kam dieser berühmte Schrei. Er wurde zu Cockers Markenzeichen, und selbstverständlich durfte der Schrei fortan bei keinem Konzert mehr fehlen.
Aber Cockers Markenzeichen war ab da auch seine schwankende zuckende Gestik mit den typischen Handbewebungen. «Das habe ich von Ray Charles kopiert», gab er später zu. Sein vielleicht wichtigstes Markenzeichen aber wurde, dass er die Songs, die er praktisch nie selber schrieb, derart interpretierte, dass sie fortan für alle anderen Sänger unerreichbar waren. Wer will schon «You Are So Beautiful» von jemand anderem hören als von Joe Cocker?
Cocker kam am 20. Mai 1944 in der englischen Arbeiterstadt Sheffield zur Welt, wo er auch aufwuchs. Der gelernte Gasinstallateur begann schon in jungen Jahren aufzutreten, sang für kleine Ganen und grosse Biere. 1968 hatte er mit dem Song «Majorine» einen ersten kleinen Charterfolg. Doch Woodstock katapultierte ihn in ganz andere Sphären, wobei er die berühmte Version von «With A Little Help From My Friends» schon Ende 1968 herausgebracht hatte.
Die 70er-Jahre trugen ihm nicht nur grosse Hits ein. Sondern auch massive Probleme mit Alkohol und Drogen. Die Qualität seiner Auftritte begann darunter zu leiden, von skrupellosen Managern und Dealern wurde er schamlos ausgenutzt. Er liess Verträge platzen, wurde wegen Drogendelikten und Körperverletzung inhaftiert, verschleuderte sein Geld. Dabei musste er permanent touren, um seine Rechnungen bezahlen zu können. Nervenzusammenbrüche machten seine Konzerte zu Hochrisikoveranstaltungen. Niemand hätte damals darauf gewettet, dass dieser personifizierte Rock-Exzess 70 Jahre alt würde.
«Drogen gab es überall, und ich stürzte mich darauf. Und wenn du erst mal in dieser Abwärtsspirale bist, dann ist es schwer, da wieder rauszukommen. Ich brauchte Jahre, das zu schaffen», sagte er einst. Erst seine Frau Pam Baker, die er 1987 heiratete, habe ihm geholfen, sein Leben zu ändern. «Sie machte mir klar, dass die Leute mich immer noch singen hören wollten.»
Nach seinem Comeback in den 1980er-Jahren landete Cocker Hits wie «When The Night Comes» oder das Duett «Up Where We Belong» mit Jennifer Warnes, für das er 1983 einen Grammy Award und einen Oscar bekam. Weltberühmt wurde sein Remake des Randy-Newman-Songs «You Can Leave Your Hat On», zu welchem Kim Basinger im legendären Film «91/2 Weeks» Mickey Rourke einen heissen Tanz zeigte.
Danach lebte Cocker eher zurückgezogen auf seiner «Mad Dog Ranch» in Colorado. Als Musiker trotzte er allen Modeströmungen. 1988 durfte er als einer von wenigen westlichen Sängern in der damaligen DDR auftreten. Auch in den folgenden Jahren hatte er Hits und erfolgreiche CDs, zuletzt 2012 mit dem Album «Fire It Up». Für sein Lebenswerk erhielt er in den letzten Jahren viele Preise und bereits 2007 auch den Ritterschlag durch Queen Elizabeth II.
Es war bekannt, dass Joe Cocker in den letzten Jahren unter Lungenkrebs litt. Trotzdem wollte er nächstes Jahr nochmals eine Platte veröffentlichen. Gestern starb er auf seiner Farm in Colorado. «Er war ohne Zweifel die grösste Rock- und Soulstimme, die Grossbritannien je hervorbrachte», schrieb sein Agent Barrie Marshall. «Niemand, der ihn live erlebt hat, wird ihn jemals vergessen.»
Viele Stars gaben gestern ihrer Trauer Ausdruck. Paul McCartney meinte: «Er hat der Welt so viel gebracht. Ich liebe seine Lieder. Als er ‹A Little Help From My Friends› coverte, war ich hin und weg. Er hat den Song zu einer Soul-Hymne gemacht. Ich bin für immer dankbar.»
«Ruhe in Frieden, mein guter Freund», schrieb der kanadische Musiker Bryan Adams gestern beim Kurznachrichtendienst Twitter. «Du warst einer der besten Rocksänger aller Zeiten.» Ex-Beatle Ringo Starr trauerte ebenfalls. «Goodbye für Joe Cocker von einem seiner Freunde», twitterte er.
Auch unzählige Fans zeigten sich bestürzt. Im deutschsprachigen Raum wurde hervorgehoben, dass Joe Cocker nur einen Tag nach Udo Jürgens gestorben ist. Ausgerechnet Udo Jürgens machte Joe Cocker einst das schönste Kompliment: «Er konnte ‹Baby!› schreien. Und ich konnte einpacken.»
Arno Renggli
Karriere sda. Joe Cocker beglückte seine Schweizer Fans mehrmals mit Live-Auftritten. Sein letztes Schweizer Konzert gab der Wood-stock-Veteran im August 2013 als Höhepunkt des Summerdays-Festival in Arbon am Ufer des Bodensees.
Im April 2013 war er an der 47. Ausgabe des Montreux Jazz Festivals aufgetreten, der ersten Ausgabe unter dem neuen Festivaldirektor Mathieu Jaton. Er war dort neben anderen Headlinern wie Prince, Sting oder Leonard Cohen zu sehen und zu hören.
2012 war der britische Starsänger Gast in der letzten Ausgabe der von Beni Thurnheer moderierten TV-Sendung «Benissimo», wo er zusammen mit Amy MacDonald und Robbie Williams auftrat. Nur ein Jahr zuvor hatte Cocker in Zürich grosses Wetterpech: An seinem ausverkauften Konzert am Live at Sunset musste er sämtliche alten Hits und neuen Songs bei Dauerregen spielen. Im Sommer 2011 war Cocker am Moon and Stars in Locarno aufgetreten.
Aus Zentralschweizer Sicht war Cockers Auftritt im Juni 2010 ein Highlight. Auf dem Märtplatz in Sursee begeisterte er über 7000 Fans vor allem mit seinen alten Hits.