Die Britin Jessie J. sorgte gestern im ausverkauften Konzertsaal für gute Stimmung. Die 30-jährige Sängerin erzählte dabei fast mehr, als sie sang.
Es gibt ganz grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Künstler zwischen den Songs spricht. Schliesslich könnte man ja sonst einfach die CD daheim hören. Etwas Unterhaltung macht einen gewaltigen Teil des Live-Erlebnisses aus. Wie bei allem gilt aber hier auch: Es ist eine Frage der Dosis. Jessie J. hat gestern Abend im Konzertsaal des KKL in dieser Hinsicht fast ein bisschen übertrieben. Mit langen, aber durchaus charmanten Geschichten über «komplette Nebensächlichkeiten» (Jessie J.) verlor ihr Konzert am Blue Balls zuweilen an Fahrt. Mit viel britischem Humor, einer Portion Derbheit und einem Lastwagen Einfühlsamkeit schaffte es die 30-Jährige aber, dass das Konzert zwar manchmal an der Oberfläche zur Plauderei kratzte, aber nie absoff.
Mit etwas Verspätung stöckelte Jessie J. im ausverkauften Saal auf die Bühne. Das Outfit so knapp, dass es sexy ist, aber auch genug züchtig, um niemanden zu verschrecken. «Drinnen muss man es manchmal etwas lockerer angehen», sagte Jessie J. Auch bei ihren Open-Air-Konzerten war sie aber durchaus freizügig, Lockerheit scheint bei ihr also keine Frage der Lokalität zu sein.
Zusammen mit sechs Mitmusikern (darunter zwei Sängerinnen) hatte sie das Publikum schnell im Sack. Rasch wurden aus den Sitz- Stehplätze, und es wurde mitgesungen, wenn auch eher schweizerisch zurückhaltend. Für die Power sorgte Jessie J. selber. Das ist astreiner Kraftpop, der sich beim Soul und beim R ’n’ B bedient. Während gerade der Anfang noch etwas zu wummig für den Konzertsaal gerät, finden Band und Sängerin die Balance bald.
Je besser die Musik klingt, desto kräftiger wird auch die Stimme von Jessie J. Über vieles kann man geteilter Meinung sein, aber über ihre Stimme nicht. Die ist schlicht grandios. Und sie beherrscht das Spiel mit ihr. So baut sie auch mal locker kleine Singübungen in ihre Ansprachen ein, das ist genug witzig und genügend selbstbewusst.
An dieses Selbstbewusstsein appelliert sie eigentlich sowieso ständig. Vieles, was sie erzählt, dreht sich um kleine und grosse Niederlagen im Leben und wie man daraus gestärkt wieder rauskommt. Oft richtet sie sich direkt an die zahlreich anwesenden Frauen: «I love my body, I love my skin, I am a goddess, I am a queen.» Sei zufrieden mit dem, was du bist, so ihre Botschaft. Eine wertvolle Message im Zeitalter der ständigen Selbstoptimierung. Ob sie gehört wird, sei einfach mal dahingestellt – geklungen hat es jedenfalls gut.
Nach einem etwas länglichen Einstieg nahm das Konzert dann mit «Easy On Me» endlich Fahrt auf und verlor diesen Drive bis zum Schluss (fast) nicht mehr. Bevor mit «Price Tag» Feierabend war, stieg Jessie J. auch ins Publikum, plauderte mit Zuschauern und liess sogar eine Frau ans Mikrofon – auch sie konnte singen, Zufall dürfte dies allerdings kaum gewesen sein.
Der Pop von Jessie J. mag zwar kräftig und farbig sein, aber speziell wird er erst durch ihre Art – auch durch ihre etwas zu ausführlichen Ansprachen. Man würde sehr gerne mit ihr diverse Biere trinken, und sie wäre sicherlich jene mit den schmutzigsten Witzen. Das hilft dem Konzert auch durch die etwas langweiligen Momente. Charme hat diese Dame kübelweise. Und sie mag es, ihn auch in ebendiesen Einheiten ins Publikum zu schütten.
Nach knapp 100 Minuten hat einen die Nacht wieder. Das war gut. Nicht sensationell, aber gut. Da stand eine Dame auf der Bühne, die sich vielleicht nicht im Sound, aber doch in vielem anderem wohltuend von all den anderen austauschbaren Popsternchen abhebt. Trotzdem: Wir hätten lieber zwei, drei Lieder mehr gehört und dafür auf die eine oder andere «Nebensächlichkeit» verzichtet. Aber das ist Klagen auf hohem Niveau.
Hinweis: Das Blue Balls dauert noch bis am Samstag. Tickets und Infos: www.blueballs.ch