Ob auf einer strapaziösen Expedition, im Kampf gegen den Drogenrausch oder versunken im Schachspiel: Die Figuren von Thomas Glavinic suchen sich selber.
Claudia Kornmeier, dpa
Wer bin ich? Um diese Frage zu beantworten, schickt der österreichische Autor Thomas Glavinic seine Helden erneut auf eine potenziell tödliche Expedition. In «Der Jonas-Komplex» durchqueren Jonas und Marie gemeinsam die Antarktis, nachdem er im Vorgängerroman den Mount Everest erklommen hat.
Glavinic aber erzählt nicht nur die Geschichte dieses aus dem Vorgängerroman bekannten Paares. Parallel belebt der Autor einen anderen alten Bekannten wieder: den namenlosen Schriftsteller aus seinem Roman «Das bin doch ich» von 2007. Und der gibt gleich zu Beginn vor, worum es auf den folgenden rund 750 Seiten gehen wird: «Wer wir sind, wissen wir nicht. Beim letzten Durchzählen kam ich auf drei Personen, die jeder von uns ist. Erstens die, die er ist, zweitens die, die er zu sein glaubt, und drittens die, für die ihn die anderen halten sollen.»
Das Leben dieses Schriftstellers ist bestimmt vom exzessiven Drogen- und Alkoholkonsum. Ausserdem wachen regelmässig Frauen in seiner Wohnung auf, die er entweder nicht kennt oder von denen er nicht mehr weiss, wie sie dorthin gekommen sind. Glavinic erzählt dieses Mal auch von der Kindheit des Schriftstellers: Wie dieser als 13-jähriger Junge in einer trostlosen Umgebung aufwächst und versucht, mit dem Schachspielen der Wirklichkeit zu entfliehen.
Parallelen zur Biografie des 1972 in Graz geborenen Autors lassen sich mühelos finden, sind aber ebenso müssig. Klar sei ihm einiges so oder so ähnlich passiert, anderes natürlich nicht, sagt er in der Zeitung «Die Welt».
Um die Vorgeschichte von Jonas und Maria zu erfahren, muss man «Das Grössere Wunder» nicht gelesen haben. In kurzen Rückblicken erzählt Glavinic, was zuvor geschah. Zwischendurch ist die Geschichte sehr lustig. Etwa dann, wenn der Schriftsteller bei der anonymen Koksberatung als Namen Graf Zeppelin angibt und deshalb von der humorlosen Ärztin darauf hingewiesen wird, dass Österreich den Adel 1918 abgeschafft habe. Und vom Psychologen den Rat bekommt, eben einfach nur noch zweimal statt achtmal die Woche zu koksen.
Lesenswert ist der Roman auch wegen wunderbarer Beschreibungen von Momenten, die jeder kennt: «Der Lift hat schlechte Laune», schreibt Glavinic etwa, wenn der Aufzug grundlos in verschiedenen Stockwerken hält.
Der Roman spielt im Jahr 2015. Galvinic erinnert an die prägenden Ereignisse: den Terroranschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift «Charlie Hebdo», die Aufmärsche des fremdenfeindlichen Bündnisses Pegida, den Beginn der Flüchtlingskrise. Mit der Silvesternacht ist Schluss. «Mir ist dieses Jahr schon jetzt nicht ganz geheuer», denkt der Schriftsteller beim Aufwachen am Neujahrsmorgen. Immerhin finden Jonas und Marie eine Antwort.
Thomas Glavinic: Der Jonas-Komplex. S. Fischer, 752 Seiten, Fr. 35.90.