NEUES THEATER: Salle Modulable soll «Volkshaus» werden

Morgen beginnt die Debatte über Inhalte der Salle Modulable. Was diese neben innovativem Musiktheater ermöglicht, zeigen die Visionen der Intendanten des Theaters und des Südpols.

Urs Mattenberger
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Nun beginnt auch die wichtige Diskussion über die Inhalte der Salle Modulable. (Bild: Visualierung PD)

Nun beginnt auch die wichtige Diskussion über die Inhalte der Salle Modulable. (Bild: Visualierung PD)

Urs Mattenberger

Die letzte Woche hat in Sachen Salle Modulable wichtige Klärungen gebracht. So kommt als Standort lediglich noch das Inseli in Frage. Bei den Finanzen müssen die Investitionskosten von 208 Millionen Franken so gesenkt werden, dass die öffentlichen Beiträge nicht wesentlich höher ausfallen als im Fall eines Umbaus des Luzerner Theaters (60 bis 80 Millionen Franken). Drittens müssen die Betriebsbeiträge von 31 Millionen Franken (gegenüber den heute 24 Millionen für das Luzerner Theater) gesenkt werden.

Das Raumtheater der Zukunft

Parallel dazu beginnt morgen mit einer Veranstaltung im Südpol die öffentliche Diskussion auch über inhaltliche Fragen zum Neuen Theater, in dem unterschiedliche Akteure koexistieren sollen. Klar ist, dass Lucerne Festival den veränderbaren Aufführungsraum für innovatives Musiktheater mit internationaler Ausstrahlung nutzt. Aber den Alltag bestreiten das Luzerner Theater (und Sinfonieorchester) sowie die freie Szene zusammen mit dem Südpol. Welche Visionen haben dessen künstlerischer Leiter Patrick Müller und der neue Theaterintendant Benedikt von Peter?

Benedikt von Peter verspricht als Theaterintendant eine Abkehr vom Regietheater hin zu einem publikumsnahen Raumtheater. Entspricht dem die Vision einer Salle Modulable? «Ja, aber das betrifft nicht nur den wandelbaren Aufführungsraum, sondern das Projekt als Ganzes», sagt er: «Es geht darum, ein historisches Theatermodell zu ersetzen. Im 19. Jahrhundert wurden Theater als kunstreligiöse Tempel mit Säulenvorbauten gebaut. Die Bühne war der Altar, von dem her hierarchisch nach unten ins Publikum deklariert wurde. Das Publikum hatte still zu sitzen, die Körperlichkeit wurde aus der Rezeption ausgeschlossen.»

Die Salle Modulable bietet aus von Peters Sicht die «ungeheure Chance, das Theater wieder auf den Boden zu holen». Wenn der Raum beweglich und die Zentralperspektive aufgelöst wird, sind ganz andere Beziehungen zwischen dem Publikum und den Darstellern möglich: «Solche Ansätze gibt es natürlich im Bereich der Performance. Aber Boulez’ grosse Idee war, das auch auf den Bereich des Musiktheaters zu übertragen.»

Die Auflösung der hierarischen Zentralperspektive steht dabei nicht nur für den Verzicht auf «Deutungshoheit» und für die «Freiheit der Zuschauer». Indem sie Bewegung und Begegnung ins Spiel bringt, macht sie das Theater der Zukunft auf neue Art «volkstümlich». «In diesem Sinn», so von Peter, «muss die Salle Modulable ein Volkshaus werden.»

Architektur für alle

Die Vision eines «Volkshauses» inspiriert auch Patrick Müller, der nicht als Vertreter des Südpols spricht, sondern die freie Theater- und Tanzszene im Blick hat. «Als gemeinsames Dach für unterschiedliche Nutzer bietet das Haus eine einzigartige Chance», meint er. «Wenn der Schulterschluss gelingt, könnte er vorwegnehmen, wohin sich das Theater in Zukunft entwickelt.» Wichtig ist, dass das Theaterhaus niederschwellig zugänglich ist: «Auch architektonisch muss das Haus eine andere Aussage machen als das KKL.»

Statt der Säulen oder des noblen High­techs eine Architektur, die «Begegnungen inszeniert» und gleichermassen für repräsentative Sponsorenanlässe wie für alternative Kulturformen geeignet ist? Auch für von Peter ist das eine «anspruchsvolle, aber verheissungsvolle Perspektive»: «Architektur und Betriebsmodell müssen so beschaffen sein, dass sich hier nicht nur verschiedene Kulturpartner, sondern auch ihr jeweiliges Publikum mischen und zu Hause fühlen.»

Bei allen Unterschieden stellt Müller überraschende Gemeinsamkeiten zwischen den beteiligten Akteuren fest. Bis hin zum Lucerne Festival seien sich alle einig, dass die darstellenden Künste an einem Scheideweg stehen: «So wie es heute nicht mehr das einheitliche bürgerliche Publikum gibt, beginnen die Künste selber die Genres zunehmend zu verwischen.»

Welche Rolle spielt denn der Südpol im neuen Theater? Wird er als Produktionsstätte für die freie Szene diese ins neue Theater einbringen? Das ist für Müller denkbar, weil der Südpol als Produktionszentrum bereits mit freien Gruppen zusammenarbeitet. Für ihn ist aber klar: «Diese muss direkt Zugriff haben auf das Neue Theater, die verschiedenen Nutzer sollen im Prinzip gleichberechtigt beteiligt sein.» Für Müller steht aber auch fest: «Dafür braucht die freie Szene ein höheres Niveau, als sie heute hat, und mehr Ressourcen.»

Von Peter unterstreicht das «in aller Deutlichkeit»: «Damit der Südpol und die freie Szene im Neuen Theater auf Augenhöhe mitwirken können, brauchen beide mehr Ressourcen. Nur so kann man professionelle freie Truppen in Luzern halten und aufbauen.»

Vision Luzerner Theaterspektakel

Bedeuten mehr Ressourcen weitere Kosten? «Nicht unbedingt», meint der Theaterintendant, «sie sind in der aktuellen Rechnung teilweise mit berücksichtigt. Zum andern gibt es kooperative Modelle, bei denen man Ressourcen zusammenlegen kann, wenn man ein Projekt gemeinsam interessant findet. Man wird aber auch schauen müssen, dass nicht alle Produktionsmittel durch die grössere Struktur gebunden werden.»

Synergien sieht auch Müller im Neuen Theater. Wie inspirierend diese sein können, zeigt seine Idee für ein Theaterfestival in Luzern, das in der Art des Zürcher Theaterspektakels Artisten und Theatertruppen versammeln könnte – im Haus selber wie auf dem Inseli-Park. Solche gemeinsam entwickelten Inhalte sind für Müller wichtiger als die Infrastruktur des Hauses, denn «modulables Theater machen wir in der freien Tanz- und Theaterszene schon lange als Performance in verschiedenen Settings».

Luzern als Hotspot für Musiktheater

Für von Peter spielt auch der wandelbare Aufführungssaal eine wichtige Rolle: «Raummusiktheater in Zusammenarbeit mit dem Lucerne Festival könnte das Neue Theater in diesem Bereich zu einem Hotspot mit überregionaler Ausstrahlung machen», ist er überzeugt.

Auch das weitere weniger kostenrelevante Raumprogramm – ein kleinerer Saal sowie vier Studioräume – ist Teil der neuen Theatervision. «Da geht es nicht einfach darum, zusätzliche Aufführungsräume zu schaffen», so von Peter, «das wäre finanziell ein Wahnsinn.» Die Nebenräume werden einerseits multifunktional auch als Seitenbühne oder Garderoben bei Grossanlässen genutzt, was die Effizienz des Betriebs steigert. «Das Theater der Zukunft braucht ohnehin eine Abfolge verschiedenartiger Räume für unterschiedliche Publikumsgruppen und Akteure bis hin zur freien Szene», sagt von Peter. «Hier können auch Begegnungen stattfinden in Education-Projekten oder offenen Proben. Solche Vermittlungsangebote werden immer wichtiger.»

Eine künstlerische Intendanz?

Genutzt werden können Synergien durch «gemeinsame künstlerische Projekte». Der Spass daran ist für von Peter der «Hauptmotor» für die Entwicklung, die jetzt in gemeinsamen Gesprächen stattfindet. Interessenkonflikte dürften dabei angesichts unvermeidlicher Kosteneinsparungen unumgänglich sein und beim Betrieb des Hauses ein Dauerthema bleiben.

Ist für Müller denkbar, dass dieses vom Theaterintendanten geführt würde, oder zöge er ein neutrales Management vor? «Zurzeit kommt für mich nur eine künstlerische Intendanz in Frage», sagt Müller bestimmt. «In einen Theaterintendanten hätte ich mehr Vertrauen. Zudem ist klar, dass das Luzerner Theater, das einen Grossteil der Kultursubventionen erhält, ein eigenes Zuhause braucht.»

Hinweis

Öffentliche Infoveranstaltungen zur Salle Modulable im Südpol, Kriens: morgen Montag, 11. April,17.30 Uhr, und am Donnerstag, 14. April, 19 Uhr. Referenten sind u. a. Benedikt von Peter (Do), Regierungsrat Reto Wyss und Stadträtin Ursula Stämmer.