Am 22. September 1993 wählte Niklaus Meienberg den Freitod. Der Journalist, den seine Kollegen ein «Löwenherz» und einen «Feuerkopf» nannten, machte aus Berichten über die Wirklichkeit Literatur.
«Ein Jammer» sei es, «dass dieser letzte Freiraum für einen Feuerkopf und ein Löwenherz wie Meienberg verloren gegangen» sei, kommentiert Peter Frey, stellvertretender Chefredaktor des Zürcher «Tages-Anzeigers», am 17. September 1976 das Schreibverbot der Geschäftsleitung für Niklaus Meienberg.
Anlass war der Artikel «Einen schön durchlauchten Geburtstag für S. Durchlaucht!» über die «letzte ambulante Reliquie der Donaumonarchie». «Der Fürst von Liechtenstein, Franz Josef II., ist siebzig Jahre alt g’word’n. Das kann jedem passieren. Manche sind in diesem Alter etwas tattrig, andre etwas flattrig. Der Fürst von Liechtenstein jedoch, in bemerkenswerter geistiger Frische und umgeben von seinen Kunstschätzen und auch seinem Volk, ist beneidenswert gut erhalten.»
«Ich habe M. von Anfang an gut gelesen», schreibt Verleger Otto Coninx, als er in einer betriebsinternen Stellungnahme das Verbot rechtfertigt, «habe mich gefreut an seiner Brillanz, an seinen guten Formulierungen, an seinem Engagement. Daneben aber hat sich ein ungutes Gefühl bei mir verdichtet, ich verspürte einen Aberwillen gegen M.s Schreibart, seine Einseitigkeit, seine Verzerrungen, sein Verhältnis zur Schweiz, seine Animosität, seine Manipulation, der ich mich persönlich als Leser ausgesetzt sah.»
Was Coninx als «Manipulation» stört, ist ein Schreiben, das den Leser nicht kalt lässt, ihn nicht bloss in seinem Verstand, sondern in seinen Gefühlen anspricht. Es sind literarische Mittel, mit denen Fakten mitgeteilt werden. Die Sprachlust, die Meienbergs Texte verraten, wurzelt in der Emotionalität: Dem Autor geht, worüber er schreibt, zu Herzen oder auf den Geist, sie packt ihn.
1988 hat es Niklaus Meienberg in einem Gespräch mit Res Strehle so formuliert: «Es geht darum, dass ich selber etwas lerne, indem ich mit dieser Wirklichkeit konfrontiert werde. Ich suche keinen Knalleffekt. Einen Aha-Effekt kann ich nur ehrlich weitergeben, wenn ich ihn selber hatte.»
Dennoch lösten die Reportagen von Niklaus Meienberg andauernd Knalleffekte aus. Er kannte keine Tabus, liess sich von keiner etablierten Sichtweise und Erzählung der Ereignisse davon abhalten, seine eigene Sicht und Meinung zu finden. Er kam aus der Unterschicht und sah die Geschichte, die er als Historiker studierte, von unten. Er forschte und schrieb über Maurice Bavaud, den Hitler-Attentäter aus der Schweiz, und über Ernst S., der 1942 als Landesverräter erschossen wurde. «Über Bavaud ist zu der Zeit, als ihm das Schreiben noch geholfen hätte, nichts geschrieben worden», heisst es im Nachwort zu «Es ist kalt in Brandenburg».
Denen, die keine Stimme haben, eine Stimme zu geben, jenen, die sich in ihren eigenen Sphären von der Welt der Minderen abheben, auf die Pelle zu rücken, das war der Impetus, der Niklaus Meienberg im Schreiben antrieb.
«Er hat immer sehr genau recherchiert», sagt Rolf Wespe, der lange als Journalist und Journalistenausbildner gearbeitet hat, «und er war aussergewöhnlich hartnäckig. Wenn er als Frankreich-Korrespondent in Paris mit Mitterrand reden wollte, dann schaffte er es, sich zu ihm in die Limousine zu setzen.»
Niklaus Meienberg hat eine Generation von Journalisten geprägt. Nachahmer imitierten seinen Stil, indem sie hier und dort ein Mundartwort in ihre Texte streuten. Doch damit war seine Eigenart nicht zu erreichen, nicht sein Feuer, seine Unerschrockenheit. Der offiziellen Geschichtsschreibung setzte Meienberg seine eigene, hartnäckig erforschte Geschichte entgegen.
1993 setzte Niklaus Meienberg seinem Leben ein Ende, nannte in einem Abschiedsbrief «Ein paar Gründe für das Aufhören». Er hatte 1991 mit aller Vehemenz versucht, die Mächtigen der Welt vom Golfkrieg abzubringen. Er fühlte sich seither verfolgt, verlor den Bezug zur Wirklichkeit.
1992 wurde er in Oerlikon nachts überfallen, 1993 kanzelte ihn ein Generalverriss in der NZZ als «Starschreiber» des «linken Schweizer Journalismus» ab. Das traf ihn tief ins Mark.
Peter von Matt nannte Meienberg «einen grossen Prosaautor». Von ihm kann man das Schreiben lernen und einen unerschrockenen eigenen Blick in die jüngere Vergangenheit. Er musste gar nicht mit allem Recht haben – die andere Sicht ist erhellend genug.
Urs Bugmann
Nach fünf Jahren im Internat der Klosterschule Disentis und bestandener Matura lebte der am 11. Mai 1940 in St. Gallen geborene Niklaus Meienberg ein Jahr lang in New York. An der Uni Freiburg, an der ETH in Zürich und in Paris studierte er danach Geschichte. 1966–71 war er Korrespondent der «Weltwoche» in Paris. Danach schrieb er für den Zürcher «Tages-Anzeiger» und das «Tages-Anzeiger-Magazin», bis er 1976 vom Verleger Otto Coninx Schreibverbot erhielt. 1982/83 leitete er das Pariser Büro des «Stern». Bis zu seinem Freitod 1993 war er freier Schriftsteller und Mitarbeiter der Zürcher «Wochen Zeitung». bug
Aus Anlass des 20. Todestages von Niklaus Meienberg zeigt die Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern in ihrem Haupthaus an der Sempacherstrasse die Ausstellung «Warum Meienberg?». In St. Gallen erarbeitet, beleuchtet das Werk des bis heute polarisierenden Journalisten, Historikers und Schriftstellers, der zu den bekanntesten und zeitweilig zu den einflussreichsten Schweizer Intellektuellen des 20. Jahrhunderts zählt. Anhand seiner Texte und zahlreicher anderer Quellen wird die Zeit, in der er lebte, vergegenwärtigt und die Frage nach seiner Aktualität gestellt. Bei der Vernissage sprechen Marco Meier und Rolf Wespe über das Phänomen Meienberg.
Das Stattkino Luzern zeigt in einer Filmreihe das Porträt «Der Meienberg» von Tobias Wyss aus dem Jahr 1999 (1. Dezember, 11.00) und die beiden Filme «Es ist kalt in Brandenburg. Hitler töten» über Maurice Bavaud von Villi Hermann, Niklaus Meienberg und Hans Stürm (1980) und «Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» von Richard Dindo und Niklaus Meienberg (15. Dezember, 11.00).
Die Schweizer Journalistenschule MAZ (Murbacherstrasse 3, Luzern) lädt zur Niklaus-Meienberg-Monsterlesung: Am 29./30. November lesen 48 Personen, darunter Res Strehle, Chefredaktor des Zürcher «Tages-Anzeigers», und die Luzerner Kolumnistin Gisela Widmer von 9.00 bis 9.00 Texte von Niklaus Meienberg. Die Lesung ist öffentlich und wird ins Internet () übertragen.bug