Hanspeter Müller-Drossaart entdeckt in seinem neusten Buch den Dialekt zu Hause aufs Neue. Er findet, diesen Boden sollte man immer kennen.
Interview Urs Heinz Aerni
In Ihrem neusten Buch widmen Sie sich dem Obwaldnerischen – ist das eine bewusste Erinnerung an frühere Zeiten via Sprache?
Hanspeter Müller-Drossaart: Angestiftet von Geri Dillier, für seinen jährlichen Literatur-Event in der «Krone» in Giswil eine Mundart-Geschichte zu schreiben, wurde mir die Begegnung mit meiner ursprünglichen Heimatsprache zur eindringlichen Begegnung mit meinen Wurzeln. Schreibenderweise wurde mir in steigendem Masse bewusst, wie reichhaltig und umfangreich Sprache und Sozialisation durch meine familiäre lokale Wiege meine Identität begründet haben. Die ersten Töne und Klänge, die wir auf unserer irdischen Reise wahrnehmen, prägen unser Vertrauen ins Leben unverwechselbar. Da mich mein Beruf in viele Idiome und Fremdsprachen führt, wirkte die Schreibarbeit am «Fäkke-Buch» wie eine heilsame Rückführung, ein Wieder-nach-Hause-Kommen der erkennenden und tröstlichen Art.
Beim Lesen oder Hören Ihrer Texte wähnt man sich in einer Art melancholischer wie augenzwinkernder Verbundenheit mit Menschen. Wieso?
Müller-Drossaart: In der Hoffnung, dass diese Mischung letztlich auch die Leserschaft des Buches ansprechen wird, muss ich gestehen, dass sich mir die Texte oft von sich aus aufdrängten. Ich wurde mit der Aufgabe beschenkt, den zu beschreibenden Momenten und Ereignissen begrifflichen Zugang, Sprache und Form zu verleihen. Und natürlich erlaubte ich mir da und dort auch, mit grosser Lust die eigenen Erfahrungen schlitzohrig-erfinderisch zu erweitern und leise lächelnd dem Tschifeler-Heimattheater ein paar weitere erdig-heitere Rollen beizufügen.
Ihre Texte in der Obwaldner Mundart heimeln auch Bündner, Zürcher oder Schaffhauser an. Was passiert mit uns in solchen Momenten Ihrer Meinung nach?
Müller-Drossaart: Mir scheint, unsere globale Sehnsucht, immer und überall die Welt als Ganzes bei sich zu haben, fördert auf der Kehrseite das Gefühl von fehlender Verortung, von Heimatlosigkeit. Wir sollten den Boden, den seelischen wie den physischen, kennen, wo wir die ersten Schritte gemacht haben, wo wir laufen lernten. Wenn wir Dialekte hören, sprechen, erinnern uns die Klänge an unsere eigenen Orte, führen uns in konkrete Lebensräume, denen wir uns zugehörig fühlen oder die uns Wohlbefinden und Geborgenheit ahnen lassen.
Ihre Gedichte vermitteln Vertrautheit zu den Protagonisten. Wie würden Sie die Herausforderung zwischen Empathie und Ironie beschreiben?
Müller-Drossaart: Auch als Dichtender bleibe ich Schauspieler. Das heisst, die tragendste Regel gegenüber den in den Gedichten sprechenden und/oder beschriebenen Figuren ist der Respekt ihrer Glaubwürdigkeit und ihrer Befindlichkeit gegenüber – auch wenn die Welt, in der sie für Momente zitiert werden, noch so klein ist. Ich möchte den Figuren treu sein in ihrer Grösse und Beschränktheit. Die Herausforderung besteht darin, nicht in einem überheblichen besserwisserischen Gestus die Figuren zu verraten.
Ihre Karriere führte Sie über Theaterbühnen und Studios quer durch die deutschsprachigen Länder zurück zu Ihrem Ursprungsort, zumal sprachlich. Was war die Initialzündung?
Müller-Drossaart: Der unmittelbare Anlass war wie eingangs erwähnt die Anfrage meines Redaktors Geri Dillier. Aber im Kern hatte sich seit längerer Zeit der Wunsch entwickelt, die wirklichen, eigenen Sprachwurzeln ernsthaft und jenseits jeglicher Idealisierung zu befragen. Erfahren habe ich einen unerschöpflichen gedanklich-begrifflichen und klanglich-atmosphärischen Reichtum.
Sie gehen auf Lesetour mit Ihrem Buch. Worauf können sich die Besucher gefasst machen?
Müller-Drossaart: Ich möchte in meiner Vortragsweise deutlich machen, wie verbindlich der Dialekt in mir rumort, mit welch differenzierter Musikalität die manchmal blühende, manchmal karge Sprache dieser besonderen Innerschweizer Mundart Räume zum Klingen bringt, die unsere Freude am Begreifen der Welt erfüllend befriedigen kann. Gemeinsam durch den Wortwald gehen und sich wundern über die Vielfalt.
Hinweis
Die Vernissage für das Buch (siehe Kasten) findet am Sonntag, 20. September, um 11 Uhr im Alten Gymnasium in Sarnen statt.