Parodie statt Orgie: Das Luzerner Theater treibt in Bruno Madernas «Satyricon» dekadente Party-Langeweile gefährlich auf die Spitze.
Die Party beginnt erwartungsgemäss damit, dass sich Damen aufreizend in hautanliegenden oder schreierisch aufgepeppten Roben räkeln (Kostüme Axel E. Schneider). Ihre Fächer wirken so gefährlich wie die Schusswaffe in der Hand eines der lustlos herumhängenden Männer. Bis ein Schuss fällt und einer von ihnen in seinem Blut liegt. Jetzt kommt etwas Hektik auf, während Diener routiniert die erste Leiche entsorgen. Nur eine ist nicht abgebrüht genug: Die Koloratursalven, die Scintilla (grossartig Carla Maffioletti) hysterisch abfeuert, reissen diese Schickeria-Party kurz aus der Lethargie. Jetzt könnte es losgehen!
Tut es aber nicht in Johannes Pölzgutters Inszenierung, die am Samstag im Luzerner Theater Premiere hatte. Diese unterläuft doppelt Erwartungen, die man an Bruno Madernas «Satyricon»-Oper haben könnte. Denn die Vorlage (nach dem Roman des Nero-Beraters Petronius) und deren Verfilmung durch Fellini legen eine orgiastische Sinnlichkeit nahe, die querzustehen scheint zur zeitgenössischen Oper.
Wer mit solchen Klischees im Kopf in Luzern ins Theater geht, wird doppelt überrascht. Lustvoll über die Stränge haut vor allem die vom Luzerner Sinfonieorchester mit viel Schwung und Würze gespielte Musik (Leitung Michael Werdeberg). Maderna collagiert parodistisch Zitate aus der Musikgeschichte so sprunghaft, wie es das Party-Geschwätz selber ist. Wenn wieder eine Leiche anfällt, wird sie mit einem barocken Lamento beklagt (grossartig: Marie-Luise Dressen als Trimalchios Gemahlin). Der Gastgeber lässt den Kater mit einem Gassenhauer aus «Stars and Stripes» überspielen. Das Pathos, mit dem sich der Emporkömmling feiert (echter Belcanto-Schmelz: Carlo Jung-Heyk Cho), wird mit dem Walhall-Motiv aus Wagners Ring karikiert.
Pölzgutter geht den umgekehrten Weg. Das Fehlen jeglicher Handlung in dem aus Party-Splittern zusammengefügten Stück überspielt oder bebildert er nicht durch Aktionismus. Er akzentuiert in Werner Hutterlis klinisch-weissem Bühnenkasten vielmehr die Ereignislosigkeit und Sinnleere durch Stilisierung und Verknappung. Selbst die Erotik bleibt nur angedeutet und Show.
Dadurch gewinnen die vom vorzüglichen Ensemble knapp und präzis gesetzten Gesten an Pointierung und Prägnanz. Das ermöglicht starke Momente abgründiger Komik, wenn etwa hinter den Türen, hinter denen sich Trimalchio erleichtert – ein Posaunenfurz deutet es früh an – statt des Klos die versammelte Schar der Toten aufersteht. Die Schwäche des Stücks, dass es untheatral geschwätzige Monologe aneinanderreiht, kann das aber nicht wettmachen. Als Auseinandersetzung mit «dekadenten Auswüchsen unserer Zeit» bleibt das zu unverbindlich.
Der stärkste Moment ist so die Szene, bei der die Komik ins Existenzielle kippt. Es ist die Erzählung von einer Witwe im Zwiespalt der Liebe zu ihrem verstorbenen Mann und zum Wachsoldaten, der sie zurück ins Leben führt. Sie entscheidet sich gegen den Tod und für das Leben und schützt den Geliebten vor Strafe, indem sie den Leichnam ihres Gatten anstelle eines entwendeten Leichnams ans Kreuz hängt. Ein starkes Bild für eine Liebe abseits jeder Partyerotik, dem Madelaine Wiboms Sopran zu ergreifender Kraft verhilft.
Die letzte Überraschung des Abends war die Reaktion des gut gelaunten Publikums. «Unglaublich gut und komisch gespielt und gesungen» meinte, stellvertretend für andere, ein Besucher. Langer, begeisterter Applaus.
HINWEIS
Weitere Vorstellungen: 3., 8., 10., 21., 24. März, 6. und 10. April. VV: Tel. 041 228 14 14.