PERFORMANCE: «Sind Sie reich? Erzählen Sie uns mehr davon!»

Andreas Liebmann (43) hat in Luzern von Passanten Geschichten übers Reichsein gesammelt und in einem Trustfonds angelegt. Ziel: eine Performance.

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Andreas Liebmann (43) sucht Geschichten auf der Strasse. (Bild: PD)

Andreas Liebmann (43) sucht Geschichten auf der Strasse. (Bild: PD)

Geld kann den Geruch von Weltläufigkeit in ein Leben bringen, aber es stinkt auch. Manchmal bis zum Himmel. Geschichten über Geld sind süss oder bitter, manchmal gar geschmacklos. Einziger gemeinsamer Nenner: Sie sind unvermeidbar.

Was der Alltag abwirft

«In unserer durchökonomisierten Welt ist Geld wie der ständige WG-Mitbewohner, der mit einem unter derselben Decke schläft», sagt Andreas Liebmann, dessen Stücke an Häusern wie dem Wiener Burgtheater oder dem Schauspielhaus Zürich uraufgeführt worden sind. Seit einem Jahrzehnt bewegt sich der Zürcher als Performer, Regisseur und Stückeschreiber im In- und Ausland. Ein moderner Künstlernomade, der für seine Performances, die er Mentalitätsdiagnosen nennt, alles sammelt, was der Alltag so abwirft: Fehler, Zornausbrüche, Essensreste. Inspiration sucht er im Gespräch – mit Fremden oder mit sich selbst. Dafür setzt er sich auch mal die Brille des Naturwissenschaftlers oder des Ökonomen auf die Nase, hantiert kreativ mit deren Modellen und Definitionen.

Die Bühnen lieben Liebmann wohl auch für diesen unbeschwerten Flirt mit dem Zeitgeist. In Luzern liess er in den letzten Jahren zur Überfremdungsdebatte Deutsche und Schweizer im Bourbaki-Kino und im Vögeligärtli-Park miteinander kuscheln, zeigte in einer Videoinstallation Zürcher beim Rosinenpicken, versetzte sich in «Birthday» in grosse Männer, die auf ihr Lebenswerk zurückblicken. In seiner Performance «Gefühlstraining für weltweite Körper» turnten Performer poetisch die Verrenkungen und Überdehnungen des globalisierten Menschen nach, der mit beiden Beinen zwar auf europäischem Boden steht, mit Herz und Hirn aber ganz woanders ist. Und mit «Wir – ein Solo» befragte Liebmann gar den Gemeinschaftsbegriff im Zeitalter des Individualismus.

«Eine Million gewonnen»

Für sein Langzeitprojekt «Trust» befragt Liebmann seit 2014 Passanten in wohlhabenden Städten wie Kopenhagen und Stuttgart zu ihrem Reichtum. Jetzt ist Luzern dran. Liebermann hat sich hier mit der Schauspielerin Nina Langensand zwischen die Einkaufstouristen und gut situierten Passanten gesetzt. Mit dabei: ein Schild aus Pappkarton mit der Aufschrift «Sind Sie reich? Erzählen Sie!». Es soll die Passanten auffordern, etwas von ihrem Geschichtenreichtum loszuwerden.

Weil Liebmann von keiner Steuerbehörde kommt und auch nicht von einer Hilfsorganisation geschickt worden ist, fassen die Leute Vertrauen, erzählen Geschichten, die in Kopenhagen und Stuttgart etwa so klangen: «Je mehr Geld du machst, desto billiger wirst du. Fragen Sie meinen Mann, der ist da Experte.» Oder: «Die Familie meiner Freundin hat eine Million gewonnen. Sie haben ihr Haus renoviert. Aber ganz langsam, damit es keiner merkt.»

Eine Holzkiste als Fonds

Manchmal dauern solche Bekenntnisse eine Stunde. Die investiert Zuhörer Liebmann liebend gern. Die anvertrauten Geschichten legt er in einem Trustfonds an. Der befindet sich für einmal nicht auf den Bermudas oder in einer anderen Steueroase, sondern steht als einfache Holzkiste auf der Begegnungsinsel Fussgängerzone.

Daraus wird Liebmann für seinen Performanceabend «Trust» im Südpol schöpfen, den er mit der dänischen Szenografin Sille Dons Heltoft und dem in Luzern ansässigen Künstlerkollektiv Leinenlos erarbeitet hat. Und eine Begleitpublikation wird die für die Performance bearbeiteten Luzerner Reichtumsbekenntnisse verewigen. Als unbezahlbares Andenken.

Julia Stephan

HINWEIS

Die Performance «Trust» im Südpol Luzern am 24. und 25. 9., 20 Uhr. www.sudpol.ch.

Vom 30. 9. bis 3. 10. im Theater der Künste, Zürich: das Hörspiel «Blue Garden» von Andreas Liebmann.