Die chilenische Regisseurin Marcela Said zerlegt in «Los Perros» ihre eigene soziale Schicht mit ätzender Schärfe. Sie erweist sich als eine der interessantesten Persönlichkeiten des Kinos in dem südamerikanischen Land.
Die Grossbürgertochter Mariana ist Anfang vierzig, ihr Vater ein mächtiger Unternehmer und ihr Ehemann Pedro ein argentinischer Architekt und ein Langweiler, der mit seinem Job verheiratet zu sein scheint. Da die Ehe kinderlos geblieben ist, unterzieht sich Mariana einer Fruchtbarkeitsbehandlung – eine Prozedur, die sie so gleichgültig und gelangweilt hinnimmt wie fast alles in ihrem behüteten und luxuriösen Dasein, zu dem auch das Betreiben einer Galerie gehört. Wirkliche Leidenschaft und Zuneigung empfindet sie einzig zu ihren Hunden und vor allem zu ihrem Reitpferd.
Und dann ist da noch ihr Reitlehrer Juan, ein pensionierter Coronel. Sie fühlt sich von seinem machohaften Charme unweigerlich angezogen. Dass Juan von einem düsteren Geheimnis umgeben ist, erkennt man spätestens, als nach zehn Filmminuten auf dem Reithof sein parkiertes Auto mit einem Knall in die Luft fliegt und bei der anschliessenden polizeilichen Befragung sämtlicher Nachbarn niemand etwas Verdächtiges bemerkt haben will.
Als wenig später die Polizei erneut bei Juan auftaucht, geht es aber nicht mehr um den Sabotageakt an seinem Auto. Vielmehr teilt man ihm seine bevorstehende Verhaftung mit, weil gegen ihn seit geraumer Zeit ein Verfahren läuft wegen Beteiligung an schweren Menschenrechtsverbrechen während der Pinochet-Diktatur. Für Mariana, die rasch von diesen Anschuldigungen erfährt, ändert dies nichts an ihren Gefühlen für Juan, ganz im Gegenteil. Denn schliesslich war auch ihr Vater ein Handlanger von Augusto Pinochets Gewaltherrschaft gewesen, und Mariana kann nicht behaupten, davon nichts gewusst zu haben. Das chilenische Kino hat sich in den letzten Jahren immer wieder einmal mit der düsteren jüngsten Vergangenheit des südamerikanischen Landes beschäftigt, so explizit und essayistisch bei Patricio Guzmán («El botón de Nacar») und dokufiktional bei Pablo Larraín («No») oder dann unterschwellig und fiktional bei Sebastián Lelios letzten beiden Filmen «Gloria» und «Una mujer fantástica».
Und ähnlich wie bei letzteren beiden ist auch «Los perros» ganz um seine weibliche Hauptfigur herum gebaut und lebt ganz von der fantastischen schauspielerischen Leistung der Darstellerin. Die 45-jährige Antonia Zegers verkörperte im diesjährigen Ausland-Oscar-Gewinner «Una mujer fantástica» die aus der Oberschicht stammende Gegenspielerin der Titelheldin, einer Transsexuellen. Zegers ist es hier, die Standesdünkel, soziale Kälte bei gleichzeitiger Zerrissenheit in ihrem Gefühlsleben in einer Weise verkörpert, dass es einem darob nur kalt den Rücken herunterlaufen kann. Dabei wissen sowohl Regisseurin Marcela Said wie auch Antonia Zegers aus eigener Erfahrung, wovon sie sprechen: Sie kommen beide aus der chilenischen Oberschicht.
«Los Perros» läuft ab Donnerstag im Stattkino Luzern.