Sie begeistert bis heute ein Millionenpublikum. Janis Joplin galt als eine der wenigen weissen Sängerinnen, die den «echten schwarzen Blues» singen. Am Freitag wäre sie 75 Jahre alt geworden.
Julia Nehmiz
Gedränge, Scheinwerferlicht, Kameras – Janis Joplin ist umringt von Fans. Ihr Besuch zum Zehn-Jahres-Klassentreffen an ihrer alten Highschool im texanischen Port Arthur sollte zur triumphalen Rückkehr werden. In einer Talk-Show hatte sie glucksend voller Vorfreude davon erzählt. Doch beim Treffen wird sie von einem Journalisten gefragt, woran sie sich am besten in Port Arthur erinnert – und Janis Joplin, Superstar, weiss keine Antwort. Wirkt blossgestellt, verlegen, druckst ein «Kein Kommentar» heraus. Der Journalist hakt nach, lässt Joplin wie einen Fisch an der Angel zappeln – und es wird klar: Janis Joplin war die Aussenseiterin der Klasse, der ganzen Schule, und sie ist es heute noch. Zwar umringt von Fans, doch merkwürdig deplatziert, mit Federboa im Haar, steht sie fast verloren da, und man scheint förmlich zu spüren: Die alten Verletzungen, die sie als Teenager empfand, sie wirken immer noch nach.
Dieses Filmdokument zeigt exemplarisch, in welchem Zwiespalt Janis Joplin lebte. Zwischen verzweifelter Sehnsucht nach Anerkennung und umwerfenden Auftritten. Auf der Bühne entfaltete Joplin ihre ganze Kraft. Ein Powerpaket, scheinbar mühelos verwandelte sie die Zuschauermassen – 20000 beim Monterey-Pop-Festival 1967, 400000 in Woodstock 1969 – in eine tanzende, ekstatische Woge. Joplin begeistert. Selbst heute auf Youtube erreichen ihre Songs ein Millionenpublikum. «Piece of my heart»: 45 Millionen Aufrufe. «Summertime» 23 Millionen. «Cry Baby» 3 Millionen.
Ihre Stimme – eine Urgewalt. Sie singt nicht nur, sie schreit, kreischt, heult, fleht, beschwört, wirft alles, was sie an Gefühlen in sich hat und noch darüber hinaus, in ihre Performance. Sie verkörpert ihre Songs. Mit unerreichter Leidenschaft überrollt sie die Zuhörer, zieht sie in einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Schnell erreichte sie Kultstatus. Sie galt als eine der wenigen weissen Sängerinnen, die den «echten schwarzen Blues» singen.
Und: So hemmungslos und radikal, wie sie die Bühne beherrschte, so lebte sie auch. Sie wurde zur Ikone der Hippiekultur. Drogen, Alkohol, Affären – was auf den ersten Blick nach grosser Freiheit und Selbstbestimmung aussah und sie für Generationen junger Frauen zur feministischen Leitfigur machte, war einer Verletzlichkeit und Unsicherheit geschuldet, wie Janis Joplin in rührenden Briefen an ihre Familie offenbarte. Im Dokumentarfilm «Janis – Little Girl Blue» von Amy Berg erzählen ehemalige Weggefährten, Bandmitglieder, Familienangehörige und Freunde, wie Janis als Schülerin und auch später als Studentin gemobbt wurde. Und dass sie das unglaublich traf.
Janis Joplin starb am 4. Oktober 1970 an einer Überdosis Heroin in einem Motelzimmer in Los Angeles. Nach ihrem frühen Tod wurde sie zur Legende. Sie starb mit 27 Jahren. Ebenso wie Jimi Hendrix, Brian Jones, Jim Morrison, Kurt Cobain und Amy Winehouse.
Diese Musiker werden dem «Club 27» zugerechnet – wobei die Bezeichnung erst nach dem Selbstmord Kurt Cobains populär wurde. Und bis heute eine etwas makabre Faszination ausübt: Die Sänger und Musiker, die zu Lebzeiten nichts miteinander verband, werden im Musical «The 27 Club» gemeinsam auf die Bühne gestellt. Mit Erfolg, die Show des Briten Toby Gough wurde 2012 beim Edinburgh Festival Fringe uraufgeführt und mehrfach in Hamburg und Berlin gezeigt. Ende Februar wird die Rockrevue in der Maag-Halle Zürich aufgeführt. Auch Songs von Janis Joplin werden in der Show performt. Sie wäre am Freitag 75 Jahre alt geworden.
Musical «The 27 Club», 27.2.– 11.3., Maag-Halle Zürich