ROMAN: T. C. Boyles handgefertigter Garten Eden

«Die Terranauten», das neuste Werk des US-Starautors T. C. Boyle, basiert auf einem Projekt zur Bevölkerung des Mars. Ein grandioses Thema – eigentlich.

Anne-Sophie Scholl
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Die menschlichen Versuchskaninchen in T. C. Boyles Roman proben den Neuanfang auf dem Mars. (Bild: PD)

Die menschlichen Versuchskaninchen in T. C. Boyles Roman proben den Neuanfang auf dem Mars. (Bild: PD)

Er ist der Wortführer der US-Ökobewegung. So erstaunt es kaum, dass sich T. C. Boyle für sein neustes Buch vom Projekt «Biosphäre 2» aus den 1990er-Jahren inspirieren liess.

Es war ein grössenwahnsinniges Vorhaben: Auf 1,3 Hektaren sollte in einem geschlossenen Ökosystem das Leben auf dem Mars geprobt werden. Inmitten der Sonorawüste in Arizona wurden unter einer Glaskuppel fünf Lebensräume nachgebaut. Es gab eine künstliche Savanne, einen Regenwald, flache Landstriche und sogar einen Ozean mit einem Korallenriff in der Grösse eines Olympiabeckens. 3800 ausgewählte Tier- und Pflanzenarten wurden angesiedelt und acht ausgesuchte Erdenbürger, vier Männer und vier Frauen, lebten dort und betrieben Landwirtschaft.

Ölgeld für New-Age-Utopie

Entsprungen war die utopische Idee dem Kopf von New-Age-Guru John Allen mit dem Ziel, globale Konflikte zwischen Natur und Technik zu lösen. Das Geld dafür, 150 Millionen Dollar, machte der texanische Ölmilliardär Edward Bass locker. Obwohl unglaubliche Energiemengen zugeführt wurden, befeuerte umweltpolitisches Bewusstsein das Vorhaben. Die Erkenntnis war, «dass unsere Spezies durch Überbevölkerung, Industrialisierung und den bedenken­losen Verbrauch fossiler Brenn­stoffe im Begriff war, das globale Ökosystem zu zerstören und einen Notausgang brauchte», wie Boyle im Buch schreibt.

Utopische Projekte sind von jeher Kernthemen der Werke des 68-jährigen literarischen Schwerarbeiters Boyle. Obwohl die reale Vorlage diesmal zwanzig Jahre zurückliegt und kolossal gescheitert ist, scheint das Thema prophetisch aktuell. Nicht nur, weil etwa der niederländische Unternehmer Bas Lansdorp an einem One-Way-Ticket zum Mars tüftelt, was längst nicht die einzige Expansionsvision in den Weltraum ist. Auch weil die Suche nach einem Notausgang wieder drängend geworden ist, primär aus sozialpolitischen Gründen.

Sex spielt eine penetrante Rolle

Tatsächlich rückt Boyle nicht die technischen Schwierigkeiten ins Zentrum; vielmehr die menschlichen Probleme, die er auf ein Grundthema zuspitzt: Sex. Im Video auf der Homepage des Hanser Verlags sagt der Rockstar der US-Literatur mit sardonischem Lächeln: «Am Anfang hatte ich keine Vorstellung, wie sexy dieses Projekt ist: vier Männer, vier Frauen, nichts rein, nichts raus. Was kann man da tun?»

Sex spielt hier eine penetrante Rolle. Zahlreich sind die biblischen Verweise. Der Financier im Roman wird Gott Mammon genannt, das dreiköpfige Management trägt die Spitznamen Gottvater, Judas und Jesulein. Spät im Roman taucht eine Figur namens Eve auf, und der Paradiesapfel in der Arche der Terranauten hat die Form eines eingeschmuggelten gigantischen Joints. Und doch erreicht das alles höchstens die Höhenflüge einer Büroromanze.

Boyle hat seinen Roman rigide aufgebaut. Er schreibt chronologisch und lässt abwechselnd drei seiner Figuren aus der Ich-Perspektive erzählen. Dies startet mit dem Konkurrenzkampf darum, wer unter den Auserwählten für dieses prestigeträchtige Projekt ist. In den selbstbezogenen und daher flachen Berichten spiegeln sich die menschlichen Eitel- und Nichtigkeiten. So weit, so gut. Doch was konzeptuell überzeugt, erweist sich auf rund 600 Seiten ausgewalzt als zunehmend langfädig und zäh.

Unter der Vergrösserungslinse medialer Inszenierung driften Schein und Sein des Projekts immer weiter auseinander. So war es auch bei der realen Vorlage: Das «Leben unter Glas» hat den Grundstein für Reality-TV gelegt. Und Reality-TV liess den heutigen US-Präsidenten Trump gross werden. Mit ihm rückt auch die Frage nach einem Notausgang wieder in den Vordergrund.

Anne-Sophie Scholl
kultur@luzernerzeitung.ch