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Zwei russische Märchenstoffe umrahmten ein wenig bekanntes Rachmaninow- Klavierkonzert, bei dem das Luzerner Sinfonieorchester auf einen der aufregendsten Pianisten unserer Zeit traf.
Zuerst in den Bässen, dann in den hohen Streichern hob ruhig im ausverkauften KKL-Konzertsaal eine schwermütige Melodie an, wurde weitergeführt vom Englischhorn und nochmals aufgenommen von diesem Blasinstrument, das wohl das tieftraurigste Melos von sich geben kann. Man fühlte sich sichtlich wohl, war aber auch gespannt auf den zweiten Teil, denn dieser verhiess einen zerstörerischen Ausbruch des weiblichen Hausgeistes Kikimora, der sich vorerst ganz ruhig verhielt. Aber nach knapp acht Minuten war der Spuk zu Ende, und Anatoli Ljadows Miniatur mit dem Titel «Kikimora» bot auch im abschliessenden Prestissimo keine Steigerung, erwies sich vielmehr als harmlos.
Das Werk leitete einleuchtend ein Programm ein, das ganz russischer Literatur gewidmet war und mit der «Cinderella»-Suite von Sergej Prokofjew ein weiteres, dem Kindheitsmotto entsprechendes Tongemälde nach einem bekannten Märchenstoff bot. Es ist sicher richtig, wenn sich das KKL-Hausorchester, das als Konzertorchester nach zwei Jahren ein Comeback unter Chefdirigent James Galligan gab am Lucerne Festival, auf Nischenprodukte konzentriert und die grossen Standardwerke den gastierenden Weltklasse-Orchestern überlässt, wie es dies auch auf dem Plattenmarkt zu tun pflegt. Das bietet die Chance, ein zu Unrecht vernachlässigtes Werk wieder zu entdecken, beinhaltet aber auch das Risiko, dass die Werke nicht jene Qualität aufweisen, dank der die Komponisten berühmt geworden sind. Auch die beiden russischen Sergej (Rachmaninow und Prokofjew) sind nicht wegen des vierten Klavierkonzerts bzw. wegen der «Cinderella»-Suite berühmt geworden. Wenn somit die Gefühle beim zehnten Sinfoniekonzert gemischt ausgefallen sind, liegt das nicht unbedingt an der Leistung des Orchesters.
Besonders schwer tat sich Rachmaninow mit dem vierten Klavierkonzert, dessen Keim zwar noch in Russland wurzelt, das er aber nach seiner Übersiedlung in die USA komponierte. Trotz jahrelangen Umarbeitungen und Kürzungen erreichte das Konzert nie die Gestalt, dass es sich in der Gunst des Publikums behaupten konnte. Es widerspiegelt deutlich die Widersprüchlichkeit zwischen der alten Heimat und der Neuen Welt, ist nicht aus einem Guss wie die drei populären Vorgängerkonzerte.
Davon liess sich freilich der noch nicht dreissigjährige Russe Daniil Trifonov nicht abschrecken, im Gegenteil. Mit hängenden Armen eilte der hochgeschossene Künstler zum Flügel, als könne er den Einsatz kaum erwarten. Mit titanischer Kraft, die man ihm kaum zugetraut hätte, stürzte er sich in die Klangwogen und lieferte mit dem etwas pauschal geführten Orchester an den dynamischen Höhepunkten einen bisweilen reisserischen Schlagabtausch.
Kraftakt eines Klavierlöwen? Weit gefehlt. Obwohl ständig unter Hochspannung, wirkte er bei leiseren Passagen völlig entspannt, liess die Klänge nur so perlen und schnitt auch die Ecken mit messerscharfem Anschlag heraus. Sein feines Sensorium bewies er zudem mit der Chopin-Zugabe, kurioserweise nicht ein Originalwerk, sondern ein Satz aus der zweiten Cello-Sonate in einer Bearbeitung nur für Klavier.
Als Zugabe bot das Luzerner Sinfonieorchester «Die Montagues und die Capulets» aus der zweiten Suite von «Romeo und Julia»von Prokofjew und spielte dabei hörbar befreit auf. James Gaffigan hatte eine eigene Folge aus den drei «Cinderella»-Suiten zusammengestellt, die primär den Handlungsverlauf des Aschenbrödel-Märchens nahebringen sollte. Dieser setzte sich indes nicht überall so hörbar um, wie in der Szene, in der die zwei Violinen betont übertrieben die Tanzstunde der unbeholfenen Stiefschwestern markieren oder wie im Abschnitt «Mitternacht», wo mit echter Glocke und Schlagzeug pompös die zwölf Stunden geschlagen werden.