Stephan Wittmers Museum 1 in Adligenswil kann mit repräsentativen Museumsbauten in Bilbao oder New York nur schwer mithalten. Mit seiner Brache in einer durchschnittlichen Gewerbezone hat der Hochschuldozent und Künstler aber auch was ganz Anderes im Sinn.
Wer je seinen Fuss auf die abschüssigen 4000 Quadratmeter gesetzt hat, die das Museum 1 als Ausstellungsfläche nutzt, der weiss: Die Brache mit der Nummer 837 in der Gewerbezone Winkelbüel in Adligenswil strahlt maximale Durchschnittlichkeit aus. Nebenan eine Häuserzeile hässlicher Gewerbebauten aus den 1980er-Jahren, in der das Tintenfassmuseum mit seinen 2000 Exponaten seine eigene Mission verfolgt. Die angrenzende Strasse ist mittelmässig befahren. Die struppige Grasfläche ein Niemandsland par excellence. Die einzige Bar ums Eck, eine Shisha-Bar, ist im letzten März abgebrannt. Adligenswil ist nah und doch sehr fern.
Der Hochschuldozent, ehemalige Leiter der Kunsthalle Luzern und Künstler Stephan Wittmer hat mit Mitstreitern auf dieser Brache 2013 ein Museum gegründet. Keine Kathedrale der Gegenwart, wie so manches zeitgenössische Kunsthaus. Das Museum 1 hat weder ein Dach auf dem Kopf noch ein richtiges Fundament. Im Unkraut steht ein Bühnenwagen – das Relikt der Kunst-Masterarbeit von Wittmers ältester Tochter. Eine Infotafel gibt Besuchern rudimentär Orientierung.
Der Bretterverschlag, den Wittmer selbst einen «Pavillon» nennt, wird in diesen Tagen mit gesammelten Spenden renoviert. «Wir haben noch 2000 Franken, um ein Dach zu bauen, damit es nicht reinregnet», erklärt Wittmer. Im Moment hat der Künstler Christoph Rütimann darin seine Holzkugel zwischengelagert, mit der er 2017/18 an die Jahresausstellung des Kunstmuseum Luzern eingeladen wurde.
Es war der Luzerner Unternehmer und Investor Ueli Breitschmid, der Wittmer seine Brache im Gewerbegebiet Winkelbüel zur Zwischennutzung anbot. Weil der Gestaltungsplan der Bauzone Bauherren dazu zwingt, den Stil der benachbarten Gewerbehäuser aufzunehmen, ist der Enthusiasmus unter Architekten stark gebremst. Die Brache blieb brach. Stattdessen betreibt Wittmer mit einem bescheidenen Jahresbudget von 7500 Franken das Museum 1, das täglich 24 Stunden geöffnet hat und doppelt so viel Ausstellungsfläche aufweist wie das Kunstmuseum Luzern.
«Ich glaube, dass diese weissen Ausstellungsräume längst ihren Reiz verloren haben.»
Stephan Wittmer, Künstler, Kurator, Dozent
Eigentlich wollte Wittmer hier das Freiluftatelier des norwegischen Malers Edvard Munch (1863-1944) auferstehen lassen. Dieser hölzerne Bretterverschlag ohne Dach, in dem Wind und Wetter mitmalen, schien ihm der perfekte Off-Space zu sein. «Als ich die Brache erstmals in Augenschein nahm, kam ich aber zum Schluss, dass wir noch viel einfacher anfangen müssen.»
Wittmers Mission: eine Urform des Museums finden. Die Ziffer eins im Museumsnamen spielt darauf an. «Ich glaube, dass diese weissen Ausstellungsräume längst ihren Reiz verloren haben.» Dem hierarchischen Verwaltungsmonster Museum stellte er an der Peripherie des Kunstbetriebs den Prototyp eines Museums entgegen, in dem Kunst und wilde Erdbeeren ohne Langzeitplanung spontan gedeihen.
Belebt wird die Brache vom kreativen Umfeld der Hochschule Luzern, die Wittmers Idee zu Beginn als Forschungsprojekt unterstützt hat. Ebenso aus Wittmers weit verzweigtem Künstlernetzwerk. Auch heute noch finden hier studentische Projekte statt. Bei einer Performance wird auch mal ein wild wachsender Salatkopf verspeist. Bis Dienstag zeigt der junge Künstler Nicolas Witschi hier sein Projekt «Untergrabung». Bilderrahmen voller Erde schaukeln im Wind, die der Künstler aus der Brache geschaufelt hat (siehe Bild). Manches dieser Projekte ist in Wittmers Kunstmagazin _957 dokumentiert.
Bei der Eröffnung im Jahr 2013 diskutierte der ehemalige Pro-Helvetia-Chef Pius Knüsel auf der Brache über sein institutionskritisches Pamphlet «Kulturinfarkt», welches das Überangebot an Kulturinstitutionen in der Schweiz anprangerte. Dieser institutionskritische Ton schwingt auch in vielen Kunstprojekten mit. So hat der deutsche Künstler Fritz Balthaus letztes Jahr ein Deckenelement des New Yorker Whitney-Museums kopiert und es als Betonskultpur auf die Brache gestellt. Ein in den Boden eingelassener Betonkreis soll an den Vorhof des New Yorker Guggenheim Museums erinnern. Mehr Ironie geht nicht.
2017 geriet das von einem Verein geführte Museum mit dem Austritt der Gemeinde Adligenswil aus dem RKK-Fonds in finanzielle Notlage. Der Fonds vergibt Strukturbeiträge und Unterstützungergelder an regionale Kulturprojekte. «Da mussten wir auf die Barikaden steigen und haben mit Plakaten demonstriert», erzählt Wittmer. Mit Erfolg: Die Existenz des Hauses ist dank Zusatzgeldern von der Gemeinde für dieses Jahr gesichert. Wittmer, der seit Jahrzehnten in Adligenswil lebt, verfolgt mit seiner Brache noch andere Pläne: «Was der Kulturraum Benzeholz für Meggen ist, soll für Adligenswil das Museum 1 sein». Dass es in so einen Repräsentativbau dann auch reinregnen darf, versteht sich von selbst.
Museum 1 in Adligenswil, Gewerbezone Winkelbüel. Die Brache liegt bei der Postautohaltestelle Chliäbnet. Di, 3. Juli, 18 Uhr: Finissage der Ausstellung von Nicolas Witschi. 1.9. - 31.10., Michael Husmann/Mira Tschaeni, «Little Prophecies». www.museum1.ch