SÜDPOL LUZERN: Filigrane Wucht mit zwanzig Gitarren

Der bekannte Luzerner Gitarrist Christy Doran zeigt sich vielsaitig: Sein grösstes Werk feiert am Samstag offizielle Premiere im Südpol.

Pirmin Bossart
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Konzentriert bei der Arbeit: das Gitarrenorchester von Christy Doran. (Bild Dominik Wunderli)

Konzentriert bei der Arbeit: das Gitarrenorchester von Christy Doran. (Bild Dominik Wunderli)

Es ist ein Bild wie aus einem Breitleinwand-Epos: 24 Musiker sitzen über die ganze Bühnenlänge in einer Reihe auf den Stühlen, auf den Notenständern biegen sich die Partituren, ein dunkler Sound schwebt im Raum. Man spürt die Konzentration. Unwillkürlich zieht es einen hinein, in diese mächtige Klangkulisse. Der international bekannte Luzerner Gitarrist und Jazzdozent Christy Doran hat das Werk mit dem Titel «144 Strings For A Broken Chord» in monatelanger Arbeit auf Papier gebracht. Nun wird es in der ersten Probe im Südpol Luzern zum Leben erweckt.

Gemeinsames Solo

Doran selber spielt mit im Orchester. Er hat sich aussen zwischen Wolfgang Zwiauer und Fabian Gisler positioniert. Manchmal gibt er eine kurze Erklärung, wo sie gefragt ist. «Spielt bei diesen Akkorden eher die hohen Noten», sagt er, als bei einer Passage das Klangbild kurzfristig zu basslastig wird. Den beiden Bassisten Andi Schnellmann und Franco Fontanarossa, die ein gemeinsames Solo machen, schlägt er vor: «Steht vielleicht auf, damit ihr euch besser hört und die Transparenz gewährleistet ist.» Dann taucht der Komponist wieder ins Orchester zurück und wird Teil des Ganzen.

Dirigiert und im Plenum einstudiert wird das Werk vom Saxofonisten John Voirol, Dozent an der Jazzabteilung der Hochschule Luzern. Voirol hat Erfahrung mit Ensembles und Big Bands. «Aber mit einem solch fett besetzten Gitarrenorchester habe ich noch nie gearbeitet.» Auch wenn die einzelnen Gitarren unterschiedlich klingen würden, sei das etwas anderes, als mit verschiedenen Bläserregistern zu arbeiten. «Es braucht Zeit, um die einzelnen Stimmen zu erkennen und die Klangfarben zusammenzuführen. Aber es macht sehr Spass.»

Nach anderthalb Stunden ist Pause. Doran ist zufrieden, ja überrascht. «Das ist schon sehr locker gegangen. Es sind alle sehr gut vorbereitet.» Redet man mit Musikern, wird schnell klar, dass dieses Werk für alle eine Herausforderung bedeutet. «Ja, ich habe sehr viel geübt», grinst Fabian Gisler, der zu den gefragten Jazzgitarristen der jüngeren Generation gehört. Aber er habe sich auch sehr auf den Moment gefreut, wo man höre, wie alles zusammenklinge. «Ich bin erstaunt, wie schnell und zentriert das in der ersten Probe schon geklappt hat.»

Auch Simon Rupp zeigt sich angetan. «Es macht extrem Spass. Ich bin sowieso ein Fan von Doran. Er war für mich ein super Dozent an der Jazzschule.» Der renommierte Bassist Wolfgang Zwiauer, der zehn Jahre in Christy Dorans New Bag mitwirkte, hat sich gefreut, «wieder mal etwas von Doran zu üben», wie er sagt. «Aber sicher», lächelt er, «Christys Stücke musst du immer üben.»

Bekannte Namen

Das Gitarrenorchester ist ein Who’s who all jener, die als ehemalige Schüler von Christy Doran geprägt worden sind und heute selber die Szene aufmischen. Zu den ältesten gehört Wädi Gysi, der ganz früh bei Doran Stunden genommen hatte. Zu den bekannten Namen gehö­ren Philipp Schaufelberger, Franz Hellmüller, Urs Müller oder Urs Vögeli. Auch vier junge Gitarristen machen mit, die aktuell bei Doran studieren. Mit Wolfgang Zwiauer, Martina Berther, Andy Schnellmann und dem Argentinier Franco Fontanarossa sind auch die Elektro-Bässe stark besetzt. Im Zentrum des Bühnengeschehens wirkt der souveräne Schlagzeuger Lukas Mantel.

Doran hat «144 Strings For A Broken Chord» dieses Jahr während eines halbjährigen Stipendienaufenthalts in London geschrieben. «Am zweitletzten Tag bin ich fertig geworden. Die Komposition ist 117 Seiten lang.» Es sei das anspruchsvollste Werk, das er je komponiert habe. Das Werk aufs Blatt zu bringen, hat ihn auch physisch gefordert. «Ich habe das unterschätzt. Vom ständigen Betätigen der Computermaus habe ich Schulterschmerzen bekommen. Ich musste regelmässig schwimmen gehen.»

Zur Verfeinerung seines kompositorischen Handwerks nahm Doran während eines Jahres sporadisch Unterricht beim zeitgenössischen Luzerner Komponisten und Kontrabasssaxofonisten Thomas K. J. Mejer. «Er hat mir wertvolle Impulse gegeben, wie ich eine Komposition grösser denken und sie über die Strukturen von Episoden und Wiederholungen hinaus weiterentwickeln konnte.»

Klänge wandern

Die erste Probe macht schnell klar, dass «144 Strings» kein abstraktes Avantgarde-Werk ist, sondern mit seinen Grooves, präzisen Patterns, Flageolett-Atmosphären und melodiösen Linien ganz klar die jazz-rockig zeitgenössische Handschrift von Doran trägt. Reizvoll sind die klanglichen Verschiebungen, die sich mit der räumlichen Anordnung der 24 Musiker ergeben, wie sie Doran bewusst verfolgt hat.

Manchmal wandern Motive von links nach rechts und umgekehrt oder wellen einzelne Stimmen durch das ganze Orchester hindurch. Die Musiker haben ihre fixe Funktion innerhalb des Klangkörpers. Doran kann sie wie Register eines Orchesters einsetzen. Jeder der 20 Gitarristen tritt im Verlauf des Stücks mit einem Solo in Erscheinung.

Als Einzelstimme im Grossverbund zu funktionieren, sei eine neue Erfahrung, sagt Franz Hellmüller, der viel mit Doran gespielt hat. «Ich würde sehr gerne hören, wie das Ganze von den Publikumsreihen aus klingt.» Hellmüller findet das Projekt grandios. «Nur schon dieses Orchester auf die Beine zu stellen. Und dann noch solch ein Werk zu schreiben.»