Schweizer Rap klingt immer genau gleich? Falsch! In Luzern wird innovativer Hip-Hop gemacht. Dank einer Zusammenarbeit mit einem Electronica-Produzenten.
Es ist dunkel in der Bar, verraucht auch. Draussen rauscht der Verkehr unermüdlich vorbei, und in Sotschi scheitert Simon Ammann gerade auf der Sprungschanze. Mario «Emm» Wälti schaut schnell hin, sein Kollege Raphi «Kackmusikk» Spiess fragt nur: «Der ist doch mal in eine Kamera gelaufen, oder?» Ja, ist er, aber das soll nicht das Thema sein. Die beiden Luzerner haben ihre ganz eigene Erfolgsgeschichte zu präsentieren.
Emm und Kackmusikk veröffentlichen in diesen Tagen ihre zweite EP – gratis, zum Download auf ihrer Homepage. Emm rappt, Kackmusikk bastelt die Beats. Die beiden kennen sich seit Jahren, Spiess war auch der DJ von Wälti bei Liveauftritten. Abgesehen davon orientiert sich Spiess aber komplett anders: Seine musikalische Welt ist eigentlich die elektronische Musik, vornehmlich die elektronische Musik. Als Produzent und DJ hat sich Spiess einen Namen gemacht in der Szene, schaffte es unter anderem auch an die Red Bull Music Academy.
«Die Platte ist unser gemeinsames Ding», sagt Wälti, und das hört man auch. Die Texte sind Emm, wie man sie von seinen anderen Platten kennt, die Beats hingegen sind fast ein bisschen Neuland für Schweizer Rap. Mal dreckiger, grooviger, bauchiger. Mal tanzbarer, technoider, härter. Das klingt ein wenig nach Rap moderner amerikanischer Prägung.
«Raphi hat andere Ideen als ich», sagt Wälti. Es sei auch vorgekommen, dass ein Beat gemacht worden sei, «über den man schlicht nicht rappen kann». Aber schlussendlich gehe es ja genau darum, «sich auf den anderen einzulassen», so Spiess. «Ich staune dann manchmal, was Mario aus den Songs macht.» Bereits im letzten Jahr haben Emm und Kackmusikk «S.I.E.» veröffentlicht. «S.I.E.» steht für «Sie isch es», und dementsprechend wurde darauf vor allem das schönere Geschlecht gefeiert. Jetzt folgt «E.R.» – «ersch rächt». Und vor allem strömt die Platte einen schweren Testosteron-Duft aus. Musik für den Club, wo verschwitzte Menschen gemeinsam durchdrehen.
Szenen, wie sie Spiess und Wälti zur Genüge kennen. Wälti veranstaltet in Luzern, und Spiess hat mit dem Korsett-Kollektiv und anderen Labels innovative elektronische Nächte organisiert. Auch dank seiner Initiative kamen spannende DJs und Produzenten nach Luzern, noch bevor diese von der Öffentlichkeit entdeckt wurden.
Die Berührungspunkte zwischen den Szenen haben sich in den letzten Jahren massiv gemehrt. Heute geht ein Hip-Hopper ohne schlechtes Gewissen noch an eine Techno-Afterhour. Und die elektronischen Elemente im Rap sind längst salonfähig geworden.
Und trotzdem klingt vieles auf «E.R.» einfach frisch – frischer als das meiste, was sonst so an Rap-Scheiben auf den Markt geworfen wird. Im erstveröffentlichten Track «2041» (ausgesprochen: zweitausend-null-vier-eins) haben sich Wälti und Spiess mit Mimiks, Luzi, Mike und Dave die jungen Wilden des Luzerner Rap dazugeholt. Es ist ein wütender Track, der sofort in Beine und Ohren fährt und in der Rap-Sprache so ziemlich alles «verbrennt».
Und eben: Das Ganze gibt es gratis. Einfach so? «Am Schluss geht es doch immer ums Gleiche», sagt Wälti, «am Ende des Tages sollen die Frauen sich in uns verlieben, die Männer eifersüchtig sein und die Kollegen uns auf die Schultern klopfen.» Kurz: «Wir wollen einfach, dass unser Zeugs geliebt wird.» Aber haben sie keine Angst, dass man die eigene Arbeit so marginalisiert? Spiess: «Das Musikbusiness hat sich enorm verändert. Wir wollen lieber Konzerte spielen, bei denen die Leute mitmachen und abgehen.»
An Selbstbewusstsein fehlt es beiden nicht. Während Emm die Grossschnäuzigkeit des Rap wunderbar beherrscht, ist Raphi Spiess der nerdigere Gegenpart. Einer, der im dunklen Zimmer an noch dunkleren Beats bastelt. Lustigerweise funktionieren sie trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, so gut miteinander. «Wenn ich mit Mario arbeite, ist das komplett anders, als wenn ich für andere produziere», so Kackmusikk. Der Output sei höher als gedacht. Es liegt noch einiges an Material in den Computern der beiden. Eine weitere EP ist geplant, vielleicht kommt es auch mal zu einer regulären CD. «Wenn man Stück für Stück veröffentlicht, macht man die Leute auch heiss auf das grosse Ganze», sagt Wälti.
Es «läuft», so ein momentanes Lieblingswort der Luzerner Rap-Szene, aber auch so schon ganz gut. Kaum war das Video zu «2041» draussen, klingelte schon das Telefon, und Booker meldeten sich. Bereits geplant sind ein grosses Konzert im Sommer («können noch keine Details nennen») und eine Art Plattentaufe im Südpol (siehe Hinweis). «Und natürlich wollen wir noch mehr», sagen Wälti und Spiess.
Auch darum haben sie sich ganz gezielt an einer Single versucht, die tauglich für Radiohörer-Ohren ist und trotzdem nicht ihre Wurzeln verrät. «Wenns dich gid» heisst sie und mag zwar nicht so punchig sein wie «2041», aber inklusive des hookigen Refrains und des smoothen Beats ist das Ganze mehr als schmackhaft. Musik, die grossstädtisch wirkt, vielleicht genau weil sie eben nicht nach Schweizer Rap klingt.
Die Kollabo Kackmusikk und Emm ist ein lohnendes Ding für die Luzerner Musiklandschaft. Oder wie es Wälti ausdrückt: «Nach dieser Platte soll allen Rap-Freunden klar sein, dass Luzern die Hip-Hop-Stadt ist.» Er lächelt, ein Pokerface zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit. Aber was Innovation angeht, sucht man tatsächlich lange nach Vergleichbarem.Michael Graber
Freitag, 7. März, 22.00
Konzert: Emm, Kackmusikk, Mimiks, Marash & Dave und GeilerAsDu, Südpol, Kriens/Luzern. Download von «E.R.»: