In «Marokko oder die Schule brennt» rückt das Theater Lilith auf der Südpol-Bühne Schulmissstände ins Rampenlicht. Das ist abwechslungsreich – aber zuweilen auch plakativ.
Unser Schulsystem hat mehrere tiefgreifende Reformen hinter sich, steckt mancherorts noch mittendrin. Und mittendrin sind auch die Lehrpersonen als Teil eines Bildungsapparats, welcher zum bürokratischen Monster werden kann. So zumindest erscheint er im Schauspiel «Marokko oder die Schule brennt» des Theaters Lilith und aus der Feder von Regisseurin Elvira H. Plüss. Und die Autorin des Stücks dürfte mit ihrer Breitseite auch oftmals recht behalten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob man diese nicht etwas subtiler hätte auf die Bühne des Südpols bringen können. Dort feierte das Stück am Dienstag seine Premiere.
Die Geschichte dreht sich um eine junge Schweizer Lehrerin (gespielt von Annina Polivka), die sich nach einem Burn-out von den Lasten des Schulalltags befreit und nach Marokko trampt. Dort trifft sie auf einen Lehrerkollegen (Andrej Togni), dem mit Mitte 50 gekündigt wurde und der an der nordafrikanischen Küste ein Aussteigerleben führt. Auf diesem Trip führen diverse Flashbacks uns und die junge Frau zurück zu den traumatischen Ereignissen in den Klassen- und Lehrerzimmern. Szenisch abwechselnd erleben wir mit dem Ex-Lehrer ähnliche Rückblenden, dessen marokkanisches Zuhause das Zentrum des Bühnenbildes einnimmt, um welches der Rest der Handlung kreist. Darin schlüpfen Polivka und Togni immer wieder in weitere, kleine Nebenrollen.
Die Hauptprotagonistin Rita fragt bald einmal, ob im Unterricht «denn alles immer so durchstrukturiert sein muss». Die Interaktion mit dem Publikum ist dabei direkt, in bester Brechtscher Manier und löst damit die vierte Wand zwischen Zuschauerraum und Bühne auf. So werden wir hineingezogen in die Ungerechtigkeiten eines Systems, in dem der Druck auf die Lehrpersonen immer grösser, die Aufgaben stetig unübersichtlicher werden.
Dass man daran zerbrechen kann, wird nachvollziehbar. Und auch der Aussteiger in Marokko sagt: «Wer hat heute noch Respekt vor einem Lehrer?» In Zeiten sogenannter Helikoptereltern, die alles besser wissen, die Kinder überbehüten und mit dem SUV zur Schule fahren, auch wenn diese nur 300 Meter entfernt liegt, ein mehr als berechtigter Denkanstoss. Allerdings wird das Anprangern derart überdeutlich dargestellt, dass genau solche Fragen in diesem Setting letztlich rhetorisch sind.
Das Verlorengehen in den sozialen Zwängen des stressigen Berufslebens, im Gruppendruck der Lehrerinnen- und Lehrerschaft, bringt Regisseurin Plüss mit Hilfe ihrer beiden überzeugenden Darsteller mehr als ausreichend zum Ausdruck. Sie hätte dem Publikum ruhig mehr zutrauen und den nachdenklichen Passagen, in denen wir in die Psyche der beiden Lehrpersonen abtauchen, mehr Raum geben dürfen. Genau dort, in den Tiefen der traumatisierten Seele ist die Kritik am Schulsystem nämlich auf viel differenziertere Reflexionsflächen gestossen. Hier treffen wir auf gelungene Botschaften, zum Beispiel, wenn der Ex-Lehrer darüber sinniert, dass die Unfreiheit dort anfängt, wo man aufhört, sich zu wehren. Das ist alleweil besser als gar plakativ zu zeigen, wie eine Berufsanfängerin auf dem Schulausflug überfordert ist. Denn ja: Kinder können in der Tat sehr anstrengend sein. Das war aber schon immer so.
«Marokko oder die Schule brennt» ist ein abwechslungsreiches, pointiertes, aber ironischerweise manchmal selbst – auch wenn dies erst beim genauen Hinsehen deutlich wird – belehrend wirkendes Schauspiel. Die Kritik ist absolut legitim, der erhobene Mahnfinger aber etwas zu deutlich auf die Nase gedrückt.