Andrea Wolfensberger visualisiert seit Jahren Tonaufnahmen von Stimmen in berückend einfachen wie schönen Objekten. Eine Ausstellung in der Galleria Edizioni Periferia in Luzern erlaubt einen Einblick in ihren Kosmos.
Im fragilen Gleichgewicht steht das Objekt aus Wellkarton von Andrea Wolfensberger im Showroom der Luzerner Galleria Edizioni Periferia. Wie eine riesige Ohrmuschel lädt es den Betrachter zum Dialog ein. Und wirkt dabei so verletzlich wie die Dichterin Ingeborg Bachmann (1926-1973) selbst, deren Stimme die Gedichtzeilen «Schatten - Rosen - Schatten» 1956 auf Tonband gesprochen hat. Jahrzehnte später hat diese Stimme Wolfensbergers Objekt modelliert.
Die Zürcher Künstlerin Andrea Wolfensberger interessiert sich seit Jahren für die Visualisierung von Schall. Nicht wiederholbare und einzigartige Sprechakte festzuhalten in einem Objekt, das vergänglich und in seiner Ausstrahlung doch auch monumentalen Charakter besitzt, gelang ihr schon 2017 bei der Gruppenausstellung «Ins Zentrum – Radbilder und Räderwerke» im Museum Bruder Klaus in Sachseln. Damals versuchte sie auf dieselbe Weise ein digital aufgezeichnetes gesprochenes Gebet von Niklaus von Flüe in eine skulpturale Form zurückzuübersetzen wie in Luzern, wo Wolfensberger die Amplituden der Bachmannschen Schallwellen aus dem Jahr 1956 in ein Objekt aus Wellkarton übertragen hat.
Dass ihr diese Arbeitsweise, die eine mehrminütige Tonaufnahme in wochenlanger akribischer Arbeit in eine Skulptur verwandelt, den Ruf einer Art Naturwissenschafterin eingebracht hat, darüber kann sie nur schmunzeln. Auch wenn sich Wolfensberger selbst manchmal als «Software» bezeichnet, die Daten verarbeitet und verwandelt, seien ihre Arbeiten im Grunde «voller Übersetzungsfehler». Das sieht man auch an «Schatten - Rosen - Schatten», wo sie neben den Bachmannschen Gedichtzeilen «in einem fremden Wasser» auch einen fiktiven Luftzug ins Objekt eingearbeitet hat, der am Objekt zu Verwirbelungen und Verdrehungen führt, die mit dem «fremden Wasser» harmonieren. In einem idealen mathematischen Raum wäre so etwas nicht möglich.
Wer Flüchtigkeit und Unschärfe mit methodischer Gründlichkeit erforscht, bekommt ein tiefes Gefühl für die Vergänglichkeit menschlicher Existenz. Die Kunstwissenschafterin Isabel Zürcher sieht in Andrea Wolfensbergers unscharfen, weil im Halbbildverfahren produzierten Videoarbeiten, mehr «Zustände» als Ereignisse. Kein Wunder, sind Andrea Wolfensberger die Lyrik und das Sprachspiel auch bei den Werkstiteln nie fern.
Wie das Einzelne sich zum Ganzen verhält, treibt Wolfensberger bei der Gruppenaussstellung «Beehave» im Kunsthaus Baselland um. Ein Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin untersucht das elektrische Feld von Honigbienenkolonien, die über Signale wie dem Schwänzeltanz miteinander kommunizieren. Wolfensberger will die Erkenntnisse der Forscher auf ihre Weise mit 500 Kilogramm Bienenwachs visualisieren.
«Partitura». Andrea Wolfensberger im Showroom der Luzerner Galleria Edizioni Periferia, Unterlachenstrasse 12. Vernissage: heute Sa, 25.8., 12 bis 17 Uhr.
www.periferia.ch
Kunsthaus Baselland. Gruppenausstellung «Beehave». 14.9.-11.11.www.kunsthausbaselland.ch