Die Corona-Ausgabe von «Woerdz» inhaltlich sehr vielseitig und gut besucht. Aber organisatorisch ein Dauerstress.
Samstag, 23 Uhr. Die letzten Besucher verlassen den Südpol, den energetischen Hip-Hop von KT Gorique in den Ohren. Die Walliser Rapperin, die in der Elfenbeinküste aufwuchs, ist ein Energiebündel mit positiver Ausstrahlung und gibt dem Festival mit Wucht den letzten Kick. Natürlich bedauert sie, dass das ganze Publikum mit Masken im Gesicht brav auf den Stühlen sitzt, statt mitzutanzen. Ein exzellenter DJ generiert und scratcht den Sound, während KT Gorique in präzisen Salven ihre Textflows serviert und sich samt einem Tänzer durch das scharfe Gemisch aus Hip-Hop, Dub und Afro Roots bewegt.
Zwar fehlen heuer weitestgehend internationale Gäste, die in der Regel ein zusätzliches Publikum anziehen. Doch die Schweizer Künstlerinnen und Künstler – viele aus der Romandie – bieten Qualität genug und zeigen eine erstaunliche Breite an literarisch-musikalisch-dadaistischen Performances.
Auch die Mitveranstalter Matthias Burki und André Schürmann streichen in ihrer Bilanz «die grosse Vielseitigkeit des diesjährigen Festivals» hervor. Für Schürmann ist Woerdz 2020 aufgrund seiner einheimischen Qualität «die vielleicht beste Ausgabe». Auch besuchermässig kommen die Organisatoren mit rund 700 Personen den Umständen entsprechend glimpflich davon.
Zu den Umständen gehören die Trennung des Publikums in zwei Sektoren, die Maskenpflicht auch während der Aufführungen und die dadurch generierte Atmosphäre, die das Herumhängen, Trinken, Tanzen und Diskutieren wenig attraktiv macht. Die Stimmung bleibt trotzdem gut, schliesslich steht ein Programm im Vordergrund, das Kontraste setzt, Überraschungen bietet und schon mit dem Auftakt am Donnerstag für einen Topabend gesorgt hat (siehe Samstagausgabe).
Im Fokus steht am Samstag der Dichter und Sänger Michael Fehr. Mit Schlagzeuger Rico Baumann entwickelte er speziell für Woerdz ein Programm, das auf die Essenzen von Rhythmen und Reduktionen setzt. Tribal Grooves geben die archaische Metrik für die Songgeschichten von Fehr, der immer mehr zum Sänger und sprachmusikalischen Performer wird.
Die tief gefurchte Stimme, ihr Reibeisenklang, die Präsenz des körperlichen Ausdrucks und die heitere Schwärze der Texte machen die Performance plastisch und kostbar wie ein archäologisches Fundstück aus der Vor-Blues-Zeit. Vieles klingt roh und geerdet, aber kann auch leicht und luftig abheben, wenn Michael Fehr singt: «I ha nes Härz, wie ne Spatz.»
Ganz anders der zweite Woerdz-Werkauftrag von Big Zis und Patrick Hari am Freitagabend, der hermetisch bleibt und ziellos im Plastikall verschwebt. Ist es heiterer Kostümtrash? Science-Fiction-Schultheater? Oder vielleicht einfach ein verunglücktes Pannenstück, das nie richtig in Schwung kommt? Umso plakativer treibt darauf die Herren-Musikkapelle «Trampeltier of Love» zur Freude des Publikums ihr Unwesen. Ihr ironisches Programm, gespickt mit Persiflagen und Nonsense, kommt in aufgeklärt-aufgeschlossenen Kreisen immer wieder gut an.
Für Nora Gomringer, die wegen der Coronamassnahmen kurzfristig absagen musste, springt Jurczok 1001 ein. Der Zürcher Wortkünstler gehörte hierzulande zu den ersten der Spoken-Word-Zunft und ist einer der besten geblieben. Mit seinen aktuellen Texten, die das Raunen der Empörungs- und Abgrenzungsgesellschaft mithorchen und verdichten, ist er mehr als nur ein Ersatz.
Das Gespann Gerhard Meister und Laurence Boissier kocht ein heimeliges Wortsüppchen aus berndeutschen und französischen Texten. Alles wird wieder ganz anders, als sich Semi Eschmamp an den Tisch setzt, aus seinem wundersamsten Alltag erzählte und mit Herrn Blaschko telefonierte. Der Schauspieler und Autor performt auf unnachahmliche Art Texte, die vor Absurditäten, leisen Ungeheuerlichkeiten und liebenswürdigsten Episoden nur so strotzen. Da ist ein kindliches Auge, das die Welt wie durch eine neue Droge wahrnimmt, vor der uns die Suchtfachstellen noch gar nicht gewarnt haben.
Eine Nacht früher als geplant landete Lee «Scratch» Perry im Südpol-Club, die Dub-Legende aus Jamaika, wohnhaft in Einsiedeln. Sein Gewand mit Parolen und Symbolen bestickt, ein funkelnder Hut, Schmuck an den Fingern, Haare und Bart rot gefärbt. Ein Alien vom Rasta-Planeten, das sprechsingend seinen Assoziationen freien Lauf lässt. Das Basler Soundsystem Turbo Audio Posse sorgt für die basslastigen Grooves. Perry macht «push push», reckt die Fäuste, preist Jesus Christ und Pussycat, redet von Engeln und Frieden. «I love my wife» und «I need a spliff.» Die Köpfe nicken, der Dub pulst, das Virus lächelt. Wer ist der Nächste?