«Jesus Christ Superstar» ist die Geschichte von Jesus als Rebell und seinem Kontrahenten Judas. Das Le Théâtre in Emmen zeigt vor allem die menschlichen Seiten der beiden. Und erntet an der Premiere eine Standing Ovation.
Die Scheinwerfer blitzen ein letztes Mal. Der Elektroschocker geht durch den Körper Jesu. Der Gottessohn ist tot, aufgespannt in einem Rad, allein auf der Bühne. Ausschliesslich so düster ist sie natürlich nicht, die Premiere von «Jesus Christ Superstar» am Samstag im Le Théâtre Emmen.
Gewiss, Jesus muss sterben. Ein Happy End gibt es nicht und wurde schon vor 2000 Jahren nicht festgeschrieben. Doch die Schlussszene zeigt exemplarisch, dass dieses Musical einen anderen Weg einschlägt, ja gehen muss als die letzte Produktion «Sister Act» am gleichen Ort.
Das Nonnenspektakel war ein Fest der Fröhlichkeit und des Witzes, kurze sentimentale Anwandlungen nur dem Genre Musical geschuldet. Da ist die Komposition von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice (Text) über das tragische Finale unserer grossen Heilsgeschichte ein ganz anderes Kaliber. Bei den singenden Klosterfrauen kann man wenig falsch machen. Bei Jesus Christus gibt es natürlich wesentlich mehr kritische Punkte und Fallstricke. Letztlich geht es um nicht weniger als um eine der Urgeschichten unserer Kultur, ja das Fundament des Lebens vieler. Dem Team im Le Théâtre gelingt dieser Spagat zum grössten Teil überzeugend.
In seiner Inszenierung setzt der Luzerner Silvio Wey primär auf Kraft und Spektakel, nimmt den Drive der Rockoper direkt auf und entwirft so eine packende, oft begeisternde Version der Geschichte. Immer ist etwas los. Die Massenszenen sind zahlreich. Dies beginnt schon am Anfang, wo die Tänzerinnen und Tänzer in teils wildem Breakdance über die Bühne wirbeln. Der Aufruhr gegen das römische Reich, der Tumult wird mit Tempo inszeniert. Die Choreografie von Maja Luthiger ist effektiv und kräftig.
Oder die Tempelszene: Dort tanzen auch halbnackte Männer, ganz gendergerecht, auf den Tischen. Dies ist nicht überraschend, bringt die Stimmung und Verworrenheit jener Zeit jedoch schwungvoll auf den Punkt. Die Auspeitschung Jesus oder seine Kreuzigung werden nicht sensationslüstern, sondern künstlerisch umgesetzt, ohne dass diese Szenen ihre Dringlichkeit verlieren. Das Bühnenbild (Philippe Stutz) und die Ausstattung von Sabrina Claudia Moser setzen der Masse an Schauspielern eine klare, einfache Formsprache entgegen. Ein schlichtes Sechseck symbolisiert die nicht näher definierte Besetzungsmacht. Rote Podeste, ein einfaches Gerüst geben der Bühne Struktur.
Die nahe Zukunft, in der Silvio Wey die Geschichte ansiedelt, wirkt hingegen etwas beliebig. So etwa die schwarze Masken tragenden Schergen des Regimes und die Fotografen, die um den gefangenen Jesus herumschwirren. Oder die Tänzer, die Judas’ Gewissen und Zerrissenheit darstellen und mehr Rastlosigkeit in die Geschichte bringen, als dass sie zum Inhalt beitragen.
Musikalisch und schauspielerisch ist die Produktion stark besetzt. Dies beginnt beim Laienchor, der eine tolle, praktisch professionelle Leistung bringt. Kevin Thiel als Judas ist der Star des Abends. Überzeugend spielt und singt er die Zerrissenheit dieses Jüngers. Die Zweifel und die Angst, aber auch sein Hochmut und seine Arroganz kommen zum Ausdruck. Hadernd und voller Selbstanklage stürzt er sich schliesslich in den Tod. Triumphierend und burlesk feiert er dann, als Toter, seinen vermeintlichen Sieg über den gekreuzigten Jesus. Ohnehin ist diese possenhafte Szene mit dem Titelsong «Superstar» einer der aufregendsten Momente. Hannes Staffler als Jesus überzeugt schauspielerisch und geht vor allem im ersten Teil gesanglich an die Grenzen.
Ebenfalls völlig glaubwürdig: Irène Straub als Maria Magdalena. Sie singt mit Volumen und klanglicher Breite, muss nie die Reserven antasten. Gross ist ihr berühmter Song «Wie soll ich ihn nur lieben». Aris Sas, zum Glück inzwischen Stammgast im Le Théâtre, gibt mit stimmlicher und schauspielerischer Klasse seiner Doppelrolle Humor und Emotion. Abgehoben witzig umkreist er als Herodes mit seinen Cabaret-Tänzern Jesus. Tragisch und packend kämpft er – nur kurz danach – als Pilatus für den Angeklagten.
Die vier Musiker unter der Leitung von Arno Renggli spielen gewohnt souverän und lebendig. Zuweilen hätte man sich mehr rockige Härte und Trockenheit gewünscht. Aber auch in den «sinfonischen» Teilen entfalteten die bekannten Melodien ihre Kraft.
Es ist eine packende Premiere. Die starken Texte und die rockige Musik wirken auch heute aktuell und spannend. Die Geschichte um den Sündenbock Judas und einen auch zweifelnden Jesus hat nichts an Sprengkraft eingebüsst. Das Publikum verdankt den Abend mit einer langanhaltenden Standing Ovation.
Musical «Jesus Christ Superstar» bis 14. April 2019 im Le Théâtre in Emmen. VV: www.le-theatre.ch.