Zauberseefestival im «Schweizerhof»: Im Liegestuhl in die Nacht hinein

Die russische Musik scheint ein Füllhorn ohne Ende. Das zweite Kammermusikkonzert packt und überrascht. Nach dem Konzert gibt es Chill-out mit Beethoven.

Roman Kühne
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Im Wintergarten des Hotels Schweizerhof kommen sich Musiker und Zuhörer – Letztere in Liegestühlen – ganz nah. (Bild: Ingo Höhn)

Im Wintergarten des Hotels Schweizerhof kommen sich Musiker und Zuhörer – Letztere in Liegestühlen – ganz nah. (Bild: Ingo Höhn)

Was für eine Komposition, was für ein Reichtum. Als die letzten Noten von Leo Ornsteins «Klavierquintett» erklingen, ist es wie eine Mauer, die abrupt das Tosen und Brausen bremst. Es ist die Schweizer Erstaufführung, die am Donnerstagabend hier am Zauberseefestival im Hotel Schweizerhof in Luzern erklingt. Und wie der Titel des Konzertes richtig schreibt, ist dieses Stück ein «Monument», ein wuchernder Klotz, eine asiatische Steppe mit all ihren Farben, Kanten und Rissen. Beim Hören dieser zirka 1927 entstandenen Musik erstaunt es nicht, dass Leo Ornstein den Modernen als zu wenig fortschrittlich und den Traditionalisten als zu progressiv galt.

Denn einerseits ist die Musik in ihren Sprüngen, ihrer teils schneidenden Akkordik sehr aktuell. Andererseits steckt so viel Emotionalität in den Linien, dass man ohne Anstrengung darin versinken kann. Die Interpretation des frankokanadischen Pianisten Marc-André Hamelin und dem Pacifica Quartett geht weniger auf die Details ein, sondern lässt dem Sturm und seinen schwankenden Emotionen ihren Lauf. Klanglich als auch in Bezug auf die Genauigkeit teils an der Grenze, betonen die Musiker Gegensätze und Schnittstellen.

Die maschinell stampfende Einleitung wird abrupt von den – fast kindlich freien – Träumereien unterbrochen. Klaffende Wunden begegnen kokettierende Tänze. Es ist eine wilde Revue, die sich hier ihren Weg bricht. Dicht und unnachgiebig. Eine brodelnde Seele im Lebenstaumel. Ein weiteres Mal zeigt dieses Konzert, welch Zahl an wertvollen Kompositionen noch im russischen Kosmos schlummert.

Geiger im Aufwärtsgang

Das Eröffnungsstück des Abends bringt ähnliche Emotionalität. In den letzten Jahren hat ja ein eigentlicher Mieczyslaw Weinberg-Boom stattgefunden. So ist klar, dass er am Zauberseefestival auch im Jahr seines 100. Geburtstags nicht fehlen darf. Im Saal des Hotels Schweizerhof sind es fünf Stücke aus seinen 24 Préludes für Violoncello Solo, die erklingen. Allerdings in der Fassung für Violine von Gidon Kremer. Eine Traumnummer für den jungen holländisch-amerikanischen Geiger Stephen Waarts. Gerade erst durfte der 23-Jährige im KKL den International Classical Music Award entgegennehmen. Seine wunderbaren Schumann-Aufnahmen spielte er noch romantisch, mit leichtem, zurückgenommenem Klang. Die Préludes im Schweizerhof hingegen interpretiert er schneidend, dicht und energetisch aufgeladen. Mühelos springt er durch die weit auseinanderliegenden Akkorde, packt geschichtete Klänge zu einem emotionell stimmigen Ganzen. Stephen Waarts ist ein aufregender Geiger mit einem wandelbaren Spiel und einer starken Interpretationskraft.

Konzert mal anders

Zwischen diesen beiden, eher unbekannteren Werken hat das 7. Streichquartett von Ludwig van Beethoven einen etwas schwereren Stand. Zwar gelten die drei im Jahr 1806 entstandenen Spielstücke wegen ihres Tonfalls auch als russische Quartette. Dennoch braucht es einen Moment, bis man als Hörer den Weg von den eindringlichen Préludes in das Beethoven’sche Universum findet. Auch optisch bietet sich ein ganz anderes Bild. Während Stephen Waarts einfach dasteht und seine Musik spielt, wogen die Körper beim amerikanischen Pacifica Quartett konstant hin und her. Mit fast diabolischer Freude spielen sie sich die musikalischen Bälle zu. Vor allem die beiden Mittelsätze formen sich so zu einem plastischen, fast märchenhaft-erzählenden Beethoven.

Nach dem Konzert gibt es noch ein After-Hour. Das Pacifica Quartett spielt das 9. Streichquartett von Beethoven. Im Wintergarten des Hotels Schweizerhof sind dabei, neben normalen Sitzen, auch Liegestühle aufgestellt. Fast meditativ, eingehüllt in die Musik und die sich ausbreitende Nacht hinein geniessen knapp 35 Zuschauer diesen speziellen Flow. Näher bei der Musik ist unmöglich. Fehlt nur noch der Whiskey in der Hand.

Hinweis

Zauberseefestival noch bis und mit Sonntag, 26. Mai, www.zaubersee.ch