Marianischer Saal Luzern
Konzertexperiment: Klassikneulinge finden über Volksmusik zu Schubert

Das Danish String Quartet spielt Schubert und begeistert mit nordischer Volksmusik im Marianischen Saal auch fünf Klassikneulinge. Wie also gewinnt man sie für Kammermusik?

Diana Sonja Tobler
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Zwei Studentinnen, zwei Informatiker und ein Kind gehen in eine Bar. So könnte dieser Artikel beginnen. Eigentlich sind es Elina (21), Psychologiestudentin, Leonie (20), Architekturstudentin, Amit (40) und Amrita (37), beide Business Development Manager im IT-Bereich, Ansh (9), ihr gemeinsamer Sohn. Und die Bar ist an diesem Abend ein Konzert des Danish String Quartet im Marianischen Saal. Auf dem Programm stehen Franz Schuberts «Rosamunde»-Streichquartett und eine Auswahl nordischer Volksmusik.

Der Clou an der Sache: Keine unserer fünf Versuchspersonen war jemals an einem klassischen Konzert oder hätte von sich aus eines besucht. Eingeladen wurden sie auf der Gartenterrasse des Neubads beim Feierabendbier und auf einem Spaziergang bei der Hofkirche. Ein weltberühmtes Streichquartett, nebst klassischer Musik wird auch Volksmusik gespielt, kommt ihr mit? Sie kamen mit.

Schubert glasklar geschliffen

Das Konzert beginnt, die kurze Moderation des Primgeigers Rune Tonsgaard Sørensen ist sympathisch, klar, kurz – und auf Englisch, wie Leonie später mit Sorge um weniger polyglotte Konzertbesucher anmerkt. Man hilft sich gegenseitig und nach kurzem Tuscheln ist wohl das ganze Publikum über die Kernaussagen informiert. Das «Rosamunde»-Quartett ist ein Spätwerk Schuberts, etwa gleichzeitig komponiert wie «Der Tod und das Mädchen», und steht damit am Übergang von Klassik zu Romantik. Die Interpretation an diesem Sonntag wirkt schnörkellos, mit grosser Texttreue. Der Klang ist über lange Passagen glasklar geschliffen. Die Musiker stützen sich zur Strukturierung des Werkes auf die Harmonie von Schlüsselstellen, die sie wie klare Akkordsäulen in den Raum stellen.

Die Grenzen fallen: Klassikneulinge aus dem Publikum und die Musiker des Danish String Quartet im Marianischen Saal Luzern.

Die Grenzen fallen: Klassikneulinge aus dem Publikum und die Musiker des Danish String Quartet im Marianischen Saal Luzern.

Bild: Pius Amrein (26. 3. 2023)

Das unterstützt das aktive Zuhören, bestätigt Leonie später, die das ganze Konzert hindurch wie gebannt der Musik gelauscht hat. Das Zusammenspiel ist wie aus einem Instrument. Klare, perfekt synchrone Ansätze und ein Tenutoklang ohne Abfedern kennzeichnen diese Spielart. Schönheit, Klarheit, aber keine schmachtende Wärme wie in anderen Interpretationen, ganz eigen und auch darum definitiv Weltklasse. Schade nur, dass der Saal nicht bis auf den letzten Platz gefüllt war, spielt das Danish String Quartet doch in anderen Städten und Metropolen in grösseren und ausverkauften Sälen. Übermut oder bärtige Unbändigkeit, die man diesem Ensemble optisch durchaus zutrauen könnte, lässt sich erst allmählich im 4. Satz erkennen, in dem die Musiker erstmals aus der Gepflegtheit ihres Klangs herauskommen. Eine Vorahnung auf den zweiten Konzertteil.

Diese Musik gibt Mut fürs Leben

In der Pause bereits die ersten Reaktionen: Elina ist überrascht, wie laut bloss vier unverstärkte Streichinstrumente sein können. Die fünf tauschen sich aus, beobachten das übrige Publikum routinierter Konzertgänger und scheinen sich nicht fehl am Platz zu fühlen. Und Ansh, ist er gelangweilt? «Nein, gar nicht, ich finde es richtig spannend.» Trotzdem darf er für die zweite Hälfte auf einen Sitzplatz mit besserer Sicht wechseln.

Mittlerweile strahlt die Sonne die Dänen mit ihren blonden Haaren und Bärten von hinten an. Ein Stimmungsbild, das gut zur melancholischen ersten Melodie passt, wie Elina später anmerkt. Die Melancholie wechselt zu tänzerisch-versöhnlichen Stücken. Man bekommt Mut fürs Leben und für all seine Facetten eingeflösst. Amrita ist berührt: «Diese Musik lässt mich glauben, dass die Welt kein so schlechter Ort ist.»

Abrupte Wechsel in der Stimmung lösen kollektives Kichern aus. Kurze Moderationen mit Hintergrundinformationen führen durchs Programm. Die Stücke kennt wohl niemand im Saal, trotzdem begeistern sie. Nebst Arrangements traditioneller Melodien aus Irland, den Färöern, Norwegen und Schweden werden auch eine Komposition des schwedischen Volksmusikers Ale Carr und eine Eigenkomposition des Cellisten des Quartetts, Fredrik Schøyen Sjölin, gespielt. Letztere beinhaltet moderne Spieltechniken, die Vogelstimmen nachahmen und Ansh nicht mehr loslassen. Er möchte Geige spielen lernen und diese Geräusche selbst machen können. Das letzte Stück ist schnell und endet fulminant, der Applaus bricht nicht ab, bis es eine Zugabe gibt. Amit beschreibt die Musik treffend: «Engaging.»

Wie könnte man Einsteiger ansprechen?

Nach dem Konzert haben unsere Versuchspersonen die Gelegenheit, persönlich mit dem Ensemble zu reden. Einige Verlegenheit herrscht, man entschuldigt sich, nicht regelmässig klassische Musik zu hören, nicht informiert zu sein. Was sagen die international renommierten Musiker dazu? Sie lachen, nehmen Komplimente dankend entgegen und erklären Spieltechniken, ihren Werdegang und ihre Motivation. Für fehlendes Vorwissen wird niemand verurteilt. «Schön, dass ihr hier seid.» Das finden auch die Gäste.

Mit Konzerten wie diesem will die Kammermusik im Marianischen Saal unter der Leitung von Brigitte Lang und Stefan Pavlik ein neues Publikum ansprechen. Wie könnte man Klassikneulinge besser ansprechen? Einsteigerkonzerte, die etwas kürzer sind, werden genannt. Und man bräuchte eine Publikation, die gesammelt über alle Konzerte und Events informiert, sind sich Leonie und Elina einig. Nicht nur eine Agenda, sondern ein Medium, das vermittelt, was speziell an einem Programm ist. Transdisziplinarität wird gewünscht. Musik und Tanz. Musik und bildende Kunst. Musik mit Filmen. Aber «Rosamunde» war ein Schauspiel mit Musik, das Quartett bedient sich einiger Melodien, entspricht also unserer heutigen Filmmusik. «Ja, genau so etwas!» Die zwei verabreden sich spontan zum Hans-Zimmer-Abend im KKL. Vielleicht werden sie ja Stammpublikum?

Nächstes Konzert der Gesellschaft für Kammermusik: Freitag, 28., und Samstag, 29. April, 18.15 Uhr, Hotel Beau Séjour, Luzern: «Musik und Wort» mit Christiane Boesiger (Sopran) und Yvonne Lang (Klavier); www.kammermusik-luzern.ch.