Der Stierenmarkt zum Zweiten. Wie es die Tradition will, stand gestern die Auktion im Mittelpunkt des zweitägigen Spektakels um Stier, Rind und Kuh. Rind Janice brachte es gar auf den stolzen Preis von über 10 000 Franken.
Susanne Holz
Bruno Furrer spricht im Sprint. Kein Wunder, der Mann ist Auktionator. Seit Jahrzehnten leitet er die Auktion am Zuger Stierenmarkt. Gestern war er wieder einmal in Hochform. «Komm, komm, komm», lockt er die Kauflustigen rund ums Vorführareal aus der Reserve. Die Tribünen sind voll, wer sich keinen Sitzplatz ergattert hat, der steht. Die Sonne knallt auf Landwirte und Rinder.
Im Fokus aller Blicke befindet sich gerade das hochträchtige Rind Janice. Janice scheint eine echte Perle zu sein. Ihr Preis schraubt sich höher und höher. Schliesslich ruft Bruno Furrer mit Begeisterung in der Stimme und einem grandiosen rollenden R: «10 200 zum Drrritten!» Janice ist verkauft. Auf Janice folgt Rosina. Der Auktionator: erneut bereit zum Sprint. Das trächtige Rind hingegen steht stoisch da und lässt sich mustern. Täuscht man sich, oder kneift es gerade die Augen zusammen?
Flott geht es weiter: Arabell, so erfährt man, verfüge über hervorragende Anlagen mütterlicherseits. Samoa sei ein schweres Rind, 700 Kilo, mit breitem Becken und guten Voraussetzungen fürs Kalben. Auf den Bänken sitzen Männer in karierten Hemden neben Männern in gestreiften Hemden neben solchen in geblümten Hemden. Den Blick des Experten haben alle. Und einen Katalog vor Augen. Während Bruno Furrer sein R rollt, werden Hände auf Knie gestützt und Überlegungen angestellt.
Vater und Sohn, Sepp und Sämi Barmet, beide Landwirte im Angestelltenverhältnis, sind aus St. Urban LU angereist – «um z’ luegä». Man wolle verfolgen, wie sich die Zucht entwickle. Die beiden kommen jedes Jahr auf den Stierenmarkt. Sohn Sämi teilt der Presse noch gut gelaunt mit: «Wenn jemand einen Hofnachfolger sucht ... dann soll er mich anrufen!» Von Sämi Barmet erfährt der Laie auch, was es mit all den Bloomingtöchtern auf sich hat, die der Auktionator beständig anpreist. «Blooming ist aktuell der Renner unter den Stieren», erklärt der junge Landwirt. Will heissen: KB-Stier (künstliche Besamung). Blooming hat ein besonders viel versprechendes Erbmaterial – seine Samen rangieren im obersten Preissegment. Die künstliche Besamung ist auch Thema auf den vielen Plakattafeln, die zum 125-Jahr-Jubiläum aufgestellt wurden und die Geschichte des Zuger Stierenmarkts erzählen: Während heute noch rund 10 Prozent der Kühe natürlich besamt werden, waren es in den Fünfzigern alle. Als Mitte der Sechziger die künstliche Besamung aufkam, ging für den Stierenmarkt eine Blütezeit zu Ende.
Erstmals stattgefunden hat der Zuger Stierenmarkt 1897. Lucas Casanova, Direktor von Braunvieh Schweiz, weiss Bescheid über die Anfänge des Markts. «Ende des 19. Jahrhunderts erlebten die Bauern eine wirtschaftlich schwierige Zeit – sie bildeten Genossenschaften, und nur viele zusammen konnten sich einen Stier leisten. Eine Plattform musste her: So entstand der Stierenmarkt.» Viele Städte hätten sich um seine Ausführung beworben, Zug habe gewonnen, wegen des Bahnanschlusses.
Lucas Casanova kann zudem erklären, wieso die Rechnung nicht aufgeht: Von 1897 bis 2015 kommen schliesslich keine 125 Jahre zusammen. «In manchen Jahren gab es früher zwei Stierenmärkte, so gross war die Nachfrage.» Dieses Interesse sei seit den Siebzigern rückläufig. Für die jüngste Vergangenheit hat Casanova aber wieder positive Zahlen: Seit 2013 geht es wieder bergauf, und zum Jubiläum hat man aktuell 260 Stiere ausgestellt. «So viel wie seit zehn Jahren nicht mehr.» Fast eine neue Blüte. Auch ein Besucherrekord sei zu verzeichnen: «An beiden Tagen waren sicher über 12 000 Gäste da.»
Schlenderte man gestern übers Areal, traf man auf Bewohner des Altersheims Zentrum Neustadt, auf IBA-Schüler, Mütter und Kleinkinder, auf Beat Betschart (21) aus Menzingen, der zum ersten Mal hilft, die Kühe und Stiere zu betreuen, zu füttern, zu waschen, sie an- und abzubinden. Und auf Marcel Senn aus St. Gallen, der mal die Landwirtschaft seiner Eltern übernimmt und sich umschaut. «Ich mag am liebsten die feinen Stiere», sagt der junge Mann mit einem fröhlichen Grinsen. Auch er ist einfach «zum Luegä» nach Zug gekommen.