AFRIKA: Aufbruch zu neuen Ufern in Äthiopien

Äthiopien machte Schlagzeilen durch Hungersnöte. Jetzt schickt sich das Land an, sich als Reiseland einen Namen zu machen. Mit gutem Grund: Der afrikanische Staat hat viel zu bieten und steckt voller Überraschungen. Das fängt schon bei der Zeitrechnung an.

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Es geht vorwärts. Äthiopier entdecken, dass sie mit regionalen Produkten Geld verdienen können. Das Bild zeigt eine Familie in der Nähe von Bahir Dar. (Bild: Dominik Buholzer)

Es geht vorwärts. Äthiopier entdecken, dass sie mit regionalen Produkten Geld verdienen können. Das Bild zeigt eine Familie in der Nähe von Bahir Dar. (Bild: Dominik Buholzer)

Text und Bilder: Dominik Buholzer


Zum Glück war da noch Georg, der Schutzpatron der Ritter und Wanderer. Nicht vorzustellen, was passiert wäre, wenn er nicht zu Hilfe geeilt wäre. In Adua, im Norden des Landes, das damals noch Abessinien hiess, standen die Truppen von Kaiser Menelik II. den Italienern gegenüber, die sich in ihrem Kolonialhunger immer weiter vorwagten. Und eigentlich war es eine klare Sache. Die afrikanischen Truppen waren unterlegen. Doch statt dem erwarteten Sieg setzte es am 1. März 1896 für die Italiener eine schmerzhafte Niederlage ab. Äthiopien blieb frei und Italien konnte sein Kolonialreich in Ostafrika nicht über Eritrea und Italienisch-Somaliland hinaus vergrössern. Der heilige Georg habe ihnen zum Sieg verholfen, sagen sie noch heute in Äthiopien. Seither halten sie im einzigen afrikanischen Staat, der nie kolonisiert worden ist, noch grössere Stücke auf den heiligen Georg. Ihm wurde in der Hauptstadt Addis Abeba eine beeindruckende Kathedrale gewidmet und einige Jahrzehnte später ein Bier, das nicht nur Afrikanern schmeckt.

Man mag über die Geschichte mit dem heiligen Georg und den Sieg über die Italiener lachen. Doch die Äthiopier meinen es so, wie uns unser Guide Fitsum Gezahegne unmissverständlich deutlich macht. «Wir glauben daran. Wir ticken nun halt mal anders», sagt er. Und das ist nicht einmal falsch. Das fängt bereits bei der Zeitrechnung an. Am 7. Januar 2018, wenn dieser Artikel erscheint, schreibt man in Äthiopien den 29. Dezember 2010. Grund dafür ist eine völlig unterschiedliche Zeitrechnung. Der äthiopische Kalender ist eine Variante des koptischen beziehungsweise julianischen und die Jahreszählung hinkt der unsrigen, die auf dem gregorianischen Kalender fusst, um sieben Jahre und rund acht Monte hinterher. Auch die kirchlichen Feste – und davon gibt es in Äthiopien eine ganze Reihe – finden an anderen Daten statt. Weihnachten wird nicht am 24. Dezember, sondern am 6. Januar gefeiert und Silvester, wenn bei uns 11. September ist. Ebenso unterschiedlich ist die Art, wie die Äthiopier die kirchlichen Feste feiern. Auf Weihnachten stimmt sie nicht die Advents-, sondern eine zweimonatige Fastenzeit ein.

«Bei uns gehen auch die Jungen in die Kirche»

Überhaupt spielt die Religion in dem Vielvölkerstaat eine sehr wichtige Rolle. Gut 45 Prozent der Bevölkerung sind äthiopisch-orthodoxe Christen, 35 Prozent sunnitische Muslime und der Rest sind Christen anderer Konfessionen oder gehören einer Naturreligion an. Konflikte gibt es deswegen nicht. «Wenn es Probleme zwischen Vertretern verschiedener Konfessionen gibt, dann nicht aus religiösen, sondern privaten Gründen», betont Fitsum Gezahegne und erklärt: «Bei uns gehen auch die Jungen in die Kirche. Wir haben nicht diese Probleme wie ihr in Europa.» Das beeindruckt, schliesslich dauern die Gottesdienste drei Stunden und diese verbringen die äthiopisch-orthodoxen Christen in der Hocke oder im Stehen. Und auf einmal wird auch klar, weshalb die meisten Gehstöcke, die man sieht, oben eine Ausbuchtung haben: darauf können sich die Männer im Gottesdienst abstützen.

Äthiopien ist ein einzigartiges, schönes Land mit einer über 3000-jährigen Geschichte. Lange Zeit machte es jedoch vor allem durch Negativschlagzeilen von sich reden. Da waren mal die Hungersnöte, die das Land immer wieder heimsuchen. Da waren aber auch die kriegerischen Auseinandersetzungen mit Eritrea und den Abspaltungsbestrebungen zahlreicher grösserer Volksgruppen im Land selber. Von Dürre bleibt der Norden des Landes nach wie vor nicht verschont, doch mittlerweile erreicht die Betroffenen schneller Hilfe. Und der Bürgerkrieg ist Geschichte, regionale Unruhen können immer wieder mal aufflammen, doch die touristischen Gebieten sind davon meist nicht betroffen. Die Regierung ist jedoch offensichtlich gewillt, einen Schritt Richtung mehr Demokratie zu machen. Am Mittwoch hat Ministerpräsident Hailemariam Desalegn die Freilassung aller politischen Gefangenen und die Schliessung eines berüchtigten Gefangenenlagers angekündigt. Ein genaues Datum nannte er jedoch nicht. Laut Menschenrechtsorganisationen sollen in Äthiopien rund 2000 Regierungsgegner in Haft sein.

Das Land macht auch aus wirtschaftlicher Sicht Fortschritte. Die Hälfte der Bevölkerung ist 25 oder jünger und will arbeiten. «Die Leute entdecken, dass sie mit regionalen Produkten mehr verdienen können», sagt uns Fitsum Gezahenge. Das schlägt sich in den Wachstumsraten nieder. Diese pendelten in den vergangenen Jahren stets zwischen 7 und 10 Prozent. Äthiopien gilt als der neue Wachstumsstar in Afrika. Von den Chinesen liess man sich eine Tramstrecke bauen und das erste Autobahnstück. Letzteres ist im August 2016 dem Verkehr übergeben worden und die Kosten bereits beglichen worden. Wenig später folgte die über 650 Kilometer lange Eisenbahnlinie nach Dschibuti – auch bei diesem Bauprojekt setzte man vorzugsweise auf chinesische Firmen. Die seien schneller und seien gewillt, mehr (finanzielle) Risiken in Kauf zu nehmen, sagt man uns. Die verbesserte Infrastruktur lockt Investoren an, insbesondere chinesische und türkische. Aber auch Unternehmen aus der Textilindustrie haben Äthiopien entdeckt.

Überwältigende Felsenkirchen und Naturparadiese

Nun sollen es auch die Touristen. Bis 2020 soll das Land von Platz 17 zu den Top 5 der Reiseziele in Afrika vorrücken. So will es die Regierung. Als Quellmärkte hat sie Europa und die USA ins Auge gefasst. Die Rechnung könnte aufgehen, meint Gedient Fetzen Engida, der sich der Tourismusforschung verschrieben hat. «Das Potenzial ist enorm. Man muss es nur konsequent angehen.» Die ersten internationalen Hotelketten haben sich in Position gebracht. Radisson blu, Hilton oder Marriott sind mindestens in der Hauptstadt Addis Abeba präsent. «Wenn Du den African-Style suchst, dann bist Du bei uns genau richtig. Wir sind das Land der 1000 Lächeln», sagt Sisay Getachew, Direktor Tourismus-Marketing.

Äthiopien besticht nicht nur durch seine Freundlichkeit, sondern hat auch sonst sehr viel zu bieten. Das sind einmal die Felsenkirchen in Lalibela oder Neu-Jesusalem, wie der Wallfahrtsort auch genannt wird. Auf den ersten Anblick dieser aus dem Felsen gehauenen elf Kirchen aus dem 12. und 13. Jahrhundert kann man sich eigentlich gar nicht vorbereiten, so überwältigend sind sie. «Die Felsenkirchen sind nicht einfach das Werk eines Menschen, sondern hier manifestiert sich Gottes Wille», sagt Aba Yaris Miseganawe, Geistlicher und Hauptverantwortlicher für die Kirchen in Lalibela. Die Gotteshäuser sind nicht einfach Zeugen längst vergangener Zeiten, sondern werden noch heute benutzt. Hier kann man noch orthodoxes Christentum in seiner ursprünglichen Art erleben.

Oder da sind die zahlreichen Naturparadiese mit ihrem üppigen Grün, das man so in diesem Land nicht erwartet. Etwa die Wasserfälle des Blauen Nils, die sich ausserhalb von Bahir Dar befinden, oder die Halbinsel Zeghie mit der Rundkirche Ura Kidane Mihret, die nicht nur durch ihren Baustil, sondern auch mit ihren herrlichen Wandmalereien besticht. Oder die zahlreichen Naturvölker, bei denen man einer traditionellen Kaffeezeremonie beiwohnen kann.

Äthiopien hat sich entschieden, zu neuen Ufern aufzubrechen. Der Weg ist noch weit. Dessen ist man sich im Land bewusst. «Wir wissen, dass wir noch sehr viel zu tun haben», machen uns Verantwortliche des Tourismusministeriums deutlich. Aber zumindest ein Anfang ist gemacht. Und da ist ja immer noch der heilige George. Auf den ist in Äthiopien stets Verlass.

Land mit 3000 Jahre alter Geschichte und 1000 Lächeln

  • Vorbereitung: Äthiopien kann das ganze Jahr hindurch bereist werden. Die Hauptregenzeit fällt in die Periode zwischen Juni und September. Für die Einreise benötigen Schweizer Bürger einen Reisepass, der mindestens sechs Monate über das Rückreisedatum hinaus gültig ist und mindestens noch zwei leere Seiten hat. Weiter benötigt man ein Visum. Spezielle Impfungen sind nicht notwendig (auch nicht gegen Malaria), ausser man reist innerhalb von sechs Tagen aus einem Gelbfieber-Epidemie-Gebiet an.
  • Geld: Offizielle Währung ist der Ethiopian Birr (ETB). Es wird empfohlen, etwas Bargeld in Euro mitzunehmen und dieses am Flughafen oder im Hotel zu wechseln.
  • Sicherheit: In Äthiopien ist die öffentliche Sicherheit grundsätzlich gewährleistet, es sollten aber Menschenansammlungen vermieden und bei Dämmerung oder Dunkelheit abgelegene Gebiete nicht besucht werden. Besondere Vorsicht ist in Grenzgebieten geboten.
  • Reiseveranstalter travelhouse.ch bietet täglich Flüge nach Äthiopien an, beispielsweise von Zürich via Frankfurt nach Addis Abeba und zurück mit Ethiopian Airlines ab 723 Franken. Wer erstmals nach Äthiopien reist, dem wird eine organisierte Rundreise empfohlen. Spezielle Angebote unter anderem bei travelhouse.ch.

HINWEIS

Die Reise wurde unterstützt von travelhouse.ch

Eine Kuhhirtin bei den Wasserfällen des Blauen Nils. (Bild: Dominik Buholzer)

Eine Kuhhirtin bei den Wasserfällen des Blauen Nils. (Bild: Dominik Buholzer)

Auf ihren Anblick kann man sich nicht vorbereiten: eine der Felsenkirchen in Lalibela. (Bild: Dominik Buholzer)

Auf ihren Anblick kann man sich nicht vorbereiten: eine der Felsenkirchen in Lalibela. (Bild: Dominik Buholzer)