Hersteller wie Volkswagen und Daimler erwarten im Reich der Mitte neue Absatzrekorde. Derweil boomt die Elektromobilität in China – aus gutem Grund.
Felix Lee, Peking
Jochem Heizmann ist die Erleichterung anzusehen. Der sonst eher sorgenvoll wirkende China-Chef von Volkswagen kann Zahlen vorlegen, mit denen er im krisengeschüttelten Wolfsburg derzeit für besonders grosse Freude sorgen dürfte. Die Konzernzentrale kämpft mit dem grössten Verlust ihrer Geschichte infolge des Abgasskandals (wir berichteten). In China feiert VW hingegen einen neuen Absatzrekord.
Im ersten Quartal 2016 hat der Volkswagen-Konzern im Reich der Mitte bereits 955 000 Autos abgesetzt. Das ist ein Plus von 6,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Kein anderer Automarkt der Welt steigere sich derzeit in einer solchen Grössenordnung, freut sich Heizmann. Während ansonsten der Konzern auf Sparkurs ist, wolle VW in China an allen Investitionsplänen festhalten. «Das ist sehr wohl ein positiver Ausblick.»
Und VW ist nicht der einzige Autokonzern aus Europa, der in China prächtige Verkaufszahlen vorlegt. Trotz den ansonsten eher trüben Aussichten der chinesischen Wirtschaft verzeichnete BMW im ersten Quartal ein Absatzplus von 10 Prozent, Daimler erzielte gar ein Plus von 24 Prozent.
Mit ranghohen Vertretern sind diese und andere namhafte westliche Hersteller derzeit auf der Pekinger Autoshow, die gestern in der chinesischen Hauptstadt Peking ihre Pforten geöffnet hat. Mit 2000 Ausstellern aus 14 Ländern und rund 800 000 erwarteten Besuchern gehört sie inzwischen zu den wichtigsten der Welt. Die «Auto China» genannte Messe dauert noch bis zum 4. Mai.
Das kommt nicht von ungefähr. Die Chinesen kaufen pro Jahr rund 21 Millionen Autos (siehe Grafik). Die Volksrepublik ist damit der grösste PW-Markt der Welt. Dabei galt 2015 als ein eher schwaches Jahr. Für die in China verwöhnten Autobauer waren viele Jahre zweistellige Wachstumsraten normal. Im ersten Quartal lag die Steigerung aber wieder bei 6 Prozent. «Gründe für den stärkeren Start sind die steigende Begeisterung für SUV und die Steuerpolitik der chinesischen Regierung», sagt Yao Jie, Vizepräsident des chinesischen Autoherstellerverbands CAAM.
Vor allem die Steuererleichterungen dürften den Verkauf beflügelt haben. Für Autos mit einem vergleichsweise kleinen Motor mit weniger als 1,6 Litern Hubraum hat Peking die Verkaufssteuer halbiert. Das hat dem Segment der Kleinwagen und der kleineren Mittelklassewagen einen Boom beschert. Zugleich hat aber auch das Premiumsegment deutlich angezogen. Besonders beliebt: Geländewagen, die im Branchenjargon SUV genannt werden. Das Wachstum lag hier im ersten Quartal bei spektakulären 50 Prozent.
Sowohl von der Steuererleichterung als auch vom Trend zu SUV profitieren am meisten allerdings chinesische Hersteller. Denn auf die steigende Nachfrage nach einfachen Familienwagen und kompakten Geländewagen haben heimische Autobauer wie etwa Geely, Great Wall, Dongfeng oder Roewe sehr viel stärker reagiert als etwa Daimler, Audi oder BMW. Sie wollen die Chinesen auch weiter vor allem von ihren grossen Limousinen überzeugen. Bei SUV haben chinesische Hersteller derzeit einen Marktanteil von über 60 Prozent, bei Vans liegt dieser sogar bei über 90 Prozent. Es sind bereits 68 SUV-Modelle chinesischer Anbieter zu haben. Geely und Great Wall wollen ihre Fahrzeuge demnächst auch in Europa anbieten.
Auch die einst deutsche Traditionsmarke Borgward will nach mehr als 50 Jahren Abstinenz ihren Wiedereinstieg mit einem Geländewagen starten. Von dem Geländewagen BX7 soll laut Borgward-Chef Ulrich Walker im ersten Jahr eine «fünfstellige Zahl» abgesetzt werden. Borgward ist inzwischen allerdings in chinesischer Hand.
Ebenfalls stark im Kommen ist in China die Elektromobilität. 2015 haben die Hersteller bereits 330 000 aufladbare Fahrzeuge abgesetzt. Das war etwa die Hälfte aller weltweit neu zugelassenen Elektroautos. Dieser Trend hat sich im ersten Quartal fortgesetzt: Der Absatz von Elektroautos ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 170 Prozent gestiegen.
Der Umweltschutz dürfte für die meisten Käufer eine eher geringe Rolle gespielt haben. Auch die Zuschüsse von bis zu umgerechnet 10 000 Franken beim Kauf eines Elektroautos sind Händlern zufolge nicht ausschlaggebend. Treiber ist vielmehr auch hier die Gesetzeslage. Wegen der hohen Luftverschmutzung in den chinesischen Grossstädten ist die Vergabe neuer Nummernschilder inzwischen nach einem Losverfahren streng reglementiert. In Peking etwa erhält nur jeder 140. Antragsteller derzeit eine Zulassung.
Für Elektroautos gilt diese Vergabepraxis nicht. Und während an Tagen mit besonders dichtem Smog für Benziner Fahrverbote gelten, sind Elektroautos davon ebenfalls ausgenommen.
sda. Der chinesische Automarkt wird in diesem Jahr nach Einschätzung von chinesischen Branchenkennern schneller als bislang erwartet wachsen. Der Generalsekretär der Vereinigung der chinesischen Personenwagenhersteller, Cui Dongshu, rechnet sogar mit rund 10 Prozent Wachstum.
Der Oberklassemarkt dürfte sogar um 15 Prozent wachsen, sagte Cui Dongshu gestern anlässlich der Eröffnung der Pekinger Automesse. Als Grund für den Optimismus nannte der Experte die Aufhellung der konjunkturellen Lage, die durch eine stärkere Kreditvergabe wieder anzieht. Günstige Geländewagen seien auf dem weltgrössten Automarkt in China besonders im Trend. «Sie werden als Luxuswagen betrachtet», sagte Cui Dongshu.
Ausländische Autobauer hätten aber den Trend verschlafen und hätten nicht immer die richtigen Modelle im Angebot. Ausländische Hersteller und andere Experten gehen bisher allerdings davon aus, dass der chinesische Personenwagenmarkt in diesem Jahr nur rund 6 Prozent und damit etwa so schnell wie die Wirtschaft insgesamt wachsen wird.