In ihrer Kolumne «Liebes Leben, wir müssen reden» schreibt Social-Media-Redaktorin Maria Brehmer über alles, was das Leben schöner macht – und manchmal auch schwieriger. Heute:
Wie verrückt sich Verliebtsein anfühlt, erfuhr ich im schwülen Sommer 2000. Die Grillen zirpten und es roch nach frischem Heu, als wir uns unter sternenklarem Himmel zum ersten Mal küssten.
Ich glaubte, sterben zu müssen, so sehr klopfte mein Herz! Und als mir klar wurde, dass sich der vielleicht coolste Junge der Schule gerade in mich verliebt, hätte ich am liebsten in die laue Julinacht hinausgeschrien.
Okay, so war es nicht ganz. Ja, ich glaubte, gleich sterben zu müssen, als wir uns zum ersten Mal berührten. Und ja, vielleicht war er auch einer der coolsten Jungs der Schule, zumindest verhielt er sich so.
Doch das mit dem sternenklaren Himmel und Heu – leider nein.
Vielmehr quetschten wir uns in einem stickigen Raum auf ein kratziges Sofa. Und als mein erster Liebessommer seinen Anfang nahm, roch es nach Büro und kaltem Kaffee. Draussen war es schwül, drinnen schwitzig. Keine Grillen, dafür das Summen eines Computers; und auch kein Sternenhimmel, dafür grelle Neonröhren, die unsere pickelige Teenagerhaut ins beste Licht rückten.
Warum mir heute fast ausschliesslich Bilder perfekter Julinächte in den Sinn kommen (die es zweifelsohne gab), wenn ich an meinen Erste-Liebe-Sommer zurückdenke: Weil ich mich mit rosaroter Brille erinnere.
Das tun wir alle hin und wieder. Denn so funktioniert unser Gehirn: Wir vergessen nicht nur, sondern unser Gehirn verdreht, verzerrt und verformt unsere Erinnerungen auch so flexibel wie einen Kaugummi. Es färbt Erinnerungen mit den Gefühlen, die wir mit einer bestimmten Situation verbinden (wollen).
Wenn ein Paar etwa gerade eine glückliche Phase erlebt, färbt sich auch die Erinnerung der beiden an die Vergangenheit rosig. Fühlen sie sich dagegen in der Beziehung nicht wohl, streiten viel und haben es mit wiederkehrenden Unstimmigkeiten zu tun, meinen sie zu erinnern, dass dies schon früher so war. Das wiederum wirkt sich auf die Wahrnehmung im Jetzt aus: Wir waren ja noch gar nie richtig glücklich!
Unsere Erinnerungen und das, wie es uns aktuell geht, beeinflussen sich ständig gegenseitig. Und meine aktuelle Gefühlslage bestimmt offenbar, dass ich romantische Erinnerungen an meinen ersten Liebessommer habe.
Ich bin dankbar dafür, dass der coole Junge auch ein guter war. Dass ich die Verrücktheit des Verliebtseins erleben durfte und dabei meine Grenzen respektiert wurden. Dass ich selbst entscheiden konnte, wie weit ich gehen will. Das erlebten nicht alle meine Freundinnen so. Ich erinnere mich gerne zurück.
Wenn ich an den Sommer 2000 denke, fühlt sich das gut an. Mehr nach Natur als nach Elektrogeräten. Mehr nach endlosem Himmel als begrenztem Innenraum. Ich mach mir meine (Erinnerungs-)Welt, wie sie mir gefällt! Das blendende Neonröhrenlicht habe ich ausgeblendet, stattdessen schimmern die Sterne. Die rosarote Brille wirkte nicht nur damals, sie tut auch heute noch ihren Dienst.