Die Januarsonne geht um 10 Uhr auf und um 15 Uhr wieder unter – Dunkelheit und Kälte bestimmen den Alltag im Norden Finnlands. Stille, Entspannung und viel Schnee sind garantiert. Ein Paradies für besondere Winteraktivitäten.
Text und Bilder: Maren Landwehr
30 Minuten dauert die Busfahrt vom Flughafen Kittilä nach Ylläsjärvi im Pallas-Nationalpark, dem drittgrössten Finnlands. Nur wenige Autos sind unterwegs, dafür umso mehr Bäume zu sehen – und Schnee, so weit das Auge reicht. Schneebedeckte Tannen und gefrorene Seen lassen das Winterherz ebenso höher schlagen wie die Loipen und die Hügel, von denen auch Skiabfahrten möglich sind.
Zuerst aber geht es auf dem Rentierschlitten auf Polarlichtsuche: Die Touristen treffen sich an der Hotelréception, um erst einmal mit der für diese Temperaturen angemessenen Kleidung eingedeckt zu werden. Der finnische Guide Arto schüttelt etwas mitleidsvoll den Kopf, als er auf die Reiseausstattung der Touristen blickt. Stattdessen reicht er einen Thermoanzug, dicke Stiefel und gefütterte Lederhandschuhe. All das ist bei minus 17 Grad nötig und wird über die eigene Kleidung gezogen. Auch ein Gesichtsschutz, dicke Socken und lange Unterhosen empfehlen sich für die Fahrt durch die Nacht. Auf Rentierfellen sitzend, dick zugedeckt, ist nur noch das Knirschen des Holzschlittens zu hören und das Schnaufen des hinteren Tieres, das mit einem Seil um den Kopf mit dem jeweils vorderen Schlitten locker verbunden ist. Langsam und gemütlich ziehen die Rentiere hintereinandergehend die Schlitten. Der Wind auf dem See ist stärker als im Wald. Dafür erhöhen sich hier die Chancen, die Polarlichter zu sehen: Doch der Himmel bleibt dunkel.
Nach rund einer Stunde bleiben die Rentiere wieder am Ausgangspunkt stehen. Nur einige Tiere dürfen fotografiert werden. Die scheuen Vierbeiner freuen sich dafür über ein Leckerli in Form eines Moosklumpens, den die Guides verteilen. Jetzt wartet das finnische Kota auf die nächtlichen Wintergäste: ein Zelt, in dem ein Feuer bereits für eine angenehme Temperatur sorgt. Zum Aufwärmen gibts heissen Beerentee und ein finnisches Würstchen, das mit Hilfe eines Stöckchens erst ins Feuer gehalten wird, bevor sich der Magen darüber freut.
Am nächsten Morgen freuen sich vor allem die Huskys auf die bevorstehende Tour. Sechs von ihnen ziehen einen Schlitten: Eine Person sitzt darin, die andere steht hinter ihr und lenkt. Soweit das erforderlich ist. Denn auch die Huskys folgen ihren Vorderleuten, Pardon, Vorderhunden. Sie ziehen an ihren Schnüren, und sobald der Lenker den Fuss von der Bremse nimmt, schnellt der Schlitten voran. Wer darin sitzt, ist mit den Hunden auf einer Höhe; eine neue Perspektive, aus der der Wald anders aussieht. Die Hunde hecheln, beissen ab und zu in den Schnee oder wenden schon mal den Kopf. Das ist bei kleinen An- stiegen ein Zeichen für den Lenker: den Hunden helfen! Mit einem Bein vom Schlitten gehen und mitschieben. Ausser Puste ist aber nur der Mensch. Denn die Tiere geniessen die Tour. Bis zu 150 Kilometer können sie täglich laufen, am liebsten bei Temperaturen um die minus 15 Grad. Sonst kommen sie ins Schwitzen …
Schwitzen ist auch für Menschen möglich. In den meisten Hotels gibt es Saunen, in denen sich die Gäste aufwärmen, bevor die nächste Abendaktivität beginnt: Eine Schneeschuhtour durch den Wald steht auf dem Programm. Für finnische Verhältnisse ist es mild – minus 8 Grad. Der Thermoanzug bleibt im Hotel. Die dicken Stiefel kommen mit. Denn daran befestigen die Guides die Schneeschuhe, mit denen es sich herrlich querfeldein durch den Schnee stapfen lässt, ohne tief einzusinken. Abseits der Wege gibt es im Schnee kleinere Spuren von Tieren zu entdecken, denn die weisse Pracht lässt die Dunkelheit auf besondere Weise leuchten. Das Schneerieseln verzuckert auch die Menschen, die an der Hütte einen Zwischenstopp mit heissem Tee einlegen.
Dass die Finnen ein Feuer machen, war fast vorhersehbar, und dass das Polarlicht trotz später Stunde nicht zu sehen ist, auch. Bereits an der Infowand im Hotel versprach die Polarlichtvorhersage nur ein «low» (niedrig). Macht nichts. Bereits am nächsten Morgen wartet mit dem Schneemobil eine weitere Besonderheit.
Jetzt ist der Thermoanzug wieder Pflicht, dazu der Helm und die Sturmhaube. Dies alles verteilen die finnischen Guides, bevor es eine Einweisung in die Fahr- und Bremstechnik gibt. «Slow» (langsam) ist wichtig. Das merken die Fahrer sofort. Denn wer nur ein wenig mit dem rechten Daumen den kleinen Schalter drückt, setzt das Gefährt in Gang. Bis zu 60 Stundenkilometer sind für Profis erreichbar. Die Anfänger sind froh, wenn sich das Gasgeben, Bremsen und Lenken nach einiger Zeit besser als holprig verbinden lässt. Denn einfach ist das Fahren nicht. Zwar gibt es extra Wege für die Schneemobile, doch an dem Schlittern und Schlingern lässt sich nichts ändern. Im Gegenteil: Wer das als Begleiterscheinung akzeptiert, kommt gut voran. Und kann an einem Schönwettertag durch eine beeindruckende Schneelandschaft rauschen. Die Sonne strahlt hinter den Bäumen, der Schnee glitzert, und die Kälte dringt trotz der vielen Schichten nach einiger Zeit doch durch den Overall. Zum Aufwärmen geht es dann ins Eishotel. Oder vielleicht doch lieber zuerst ins angrenzende Café des «Snow Village». Hier ist es warm, und bei einer finnischen Zimtschnecke und einer heissen Schokolade sind die Füsse nach einiger Zeit wieder zu spüren.
Im Eishotel schmücken verschiedene Eisskulpturen die Räume und Betten; anstelle der Zimmertür gibt es einen Stoffvorhang, und im Restaurant stehen bei Bedarf Decken und Felle parat. Kühl ist es trotzdem bei rund minus 2 Grad. Wer sich traut, kann auch im Eis-Trauzimmer heiraten und seine Gäste in der Eisbar bewirten. Manche mögens eben kalt … Auch diejenigen, die sich am späten Abend noch mal auf den See wagen: Zwischen 21 und 1 Uhr sollen die Polarlichter am besten zu sehen sein.
Also rein in die Thermoausrüstung und raus aus dem warmen Hotelzimmer und hinein in die Nacht bei minus 25 Grad. Die Sturmhaube wärmt zwar das Gesicht, aber durch das Atmen beschlagen die Brillengläser sofort und frieren leicht zu. Wer lieber etwas sehen will, zieht die Gesichtsbedeckung herunter und muss nur ein Taschentuch für die tropfende Nase dabeihaben. Und eines zum Wechseln, denn das benutzte gefriert in der Tasche. Dafür ist es auf dem gefrorenen See Yllasjärvi sehr dunkel. Die Strassenlaternen werden in dieser Region bereits um 22 Uhr ausgeschaltet – damit die Touristen das Nordlicht besser sehen können. An diesem Abend ist das leider nicht der Fall. Als die Kälte trotz Mehrfachschichtung nicht mehr auszuhalten ist, heisst es: schnell zurück zum Hotel. Die Polarlichtsuche, zweiter Teil, folgt im nächsten Jahr, wieder im finnischen Norden.
Denn schön war es schon. Sehr schön und schön kalt.