Musiker Marc Sway geht auf die 40 zu und hat ein neues Album. Im Interview spricht er unter anderem über seine «Daheims», seinen massiven Perfektionismus, Brasiliens neuen Präsidenten und die Klimademos der Jungen.
Auf Ihrem neuen Album geht es viel ums «Daheim». Was oder wo ist für Sie daheim?
Marc Sway: Für mich ist dieses «Daheim» eine so wichtige Frage, weil ich immer zwei «Daheims» hatte – Brasilien und die Schweiz. Ich bin zwar hier aufgewachsen, aber ich habe ein brasilianisches Mami und einen Schweizer Vater. Die beiden so unterschiedlichen Kulturen ergeben ein grösseres Spannungsfeld, auch kulturell. Diese beiden «Daheims» haben mich sehr geprägt.
Hat eine überwiegt?
Als Kind war der brasilianische Einfluss fast stärker. Meine beiden Eltern haben beide Musik gemacht, und ich war schon früh auf den Bühnen an diesen Brasilianer-Festen. Das hat mich auch geprägt.
Und heute?
Seit ich Musik mache, wollte ich diese beiden Einflüsse zusammenbringen, weil beides Teil von mir ist. In der Theorie ging das immer sehr gut, in der Praxis weniger. Vielleicht, weil ich einfach versuchte, etwas Brasilianisches unterzumischen, aber nie mutig genug war, es durchzuziehen. Jetzt habe ich es durchgezogen und bin rübergegangen, um die neue CD aufzunehmen. Heimat heisst für mich mit diesem Album auch Frieden schliessen. Im Sinne von:
Ich versuche nicht mehr, diese beiden Welten miteinander zu vergleichen oder zu vereinen.
Geht das?
Es ist unglaublich schwierig. Wenn in der Schweiz ein Zug zwei Minuten zu spät kommt, dann entschuldigt sich die SBB bereits und veröffentlicht fast schon eine Pressemitteilung. In Brasilien bist du froh, wenn der Zug überhaupt noch am selben Tag kommt. In Brasilien vermisste ich lange die Ordnung und die Pünktlichkeit, in der Schweiz die Offenheit und Zugänglichkeit der Leute. Irgendwann musste ich einsehen: Die Schweiz ist die Schweiz und Brasilien ist Brasilien.
Im ersten Song der Platte besingen Sie das «Daheim» auf Englisch und Portugiesisch, im letzten auf Schweizerdeutsch. Wo ist es nun?
Irgendwann singe ich, dass das «Daheim» für mich mehr ein Gefühl als ein Ort geworden ist.
Wie fühlt sich dieses «Daheim» an?
In einem Bild gesprochen: So, wie wenn sich ein angespannter Pfeilbogen wieder entspannt. Wenn man nach einer langen Reise zurückkehrt, die Koffer abstellt, durchschnauft und merkt: Hier bin ich daheim.
Wie sieht es bei Marc Sway daheim aus? Chaotisch brasilianisch oder bünzlig schweizerisch.
Was vermuten Sie?
Eher Letzteres, ehrlich gesagt.
Ich habe sehr gerne schöne Sachen.
Was sind schöne Sachen?
Schöne Bilder, schöne Farben, schöne Möbel. Schöne Sachen, die das Leben etwas schöner machen.
Wenn Leute von einem «schönen» Wein sprechen, meinen sie immer «der ist sauteuer, aber ich will nicht damit angeben». Sind Ihre «schönen» Sachen auch so «schön»?
Nein, das sind Dinge, die mir Freude machen, wenn ich sie anschaue. Das sind durchaus auch Sachen, die ich von Reisen mitgebracht habe. Es kann auch ein Design-Klassiker wie ein Eames-Stuhl sein oder aber ein ganz alter Tisch, der richtig gebraucht wurde und auf dem sogar das Tischtuch angetackert wurde.
Sowieso ist das Wichtigste in unserem Haushalt dieser 3 Meter lange Tisch.
3 Meter?
Ja. Und nur 70 Zentimeter breit. Ich wollte einen schmalen Tisch, an dem sich die Leute ganz nahe sitzen, aber gleichzeitig auch sehr viele Menschen Platz haben.
Wie oft sitzen da sehr viele?
Oft. Das ist dann eben der Brasilianer in mir. (lacht)
Sie haben seit fünf Jahren kein Album mehr veröffentlicht, ist das jetzt fast schon eine Art Comeback?
Von einem Comeback zu sprechen, empfände ich als fast schon etwas absurd. 2017 habe ich rund 80 Shows gespielt – das sind sicher mehr als viele andere, die im selben Jahr ein Album veröffentlicht haben.
Sie gelten in der Schweiz als der König von Firmenanlässen. Machen Sie das gerne?
Ja. Klar.
Viele Musiker sagen: Das mache ich nicht gerne, aber es gibt viel Geld.
Das sind genau jene Bands, die mit solchen Sachen keinen Erfolg haben. Die Leute spüren, ob du das gerne machst.
Aber ums Geld geht es schon auch?
Meine Motivation ist die, dass ich da vor 500 bis 1000 Personen spielen kann, von denen ein grosser Teil nie an ein Konzert geht und schon gar nicht an eines von mir. Diese Leute will ich von meiner Musik und mir überzeugen.
Und wie oft klappt das?
Eigentlich immer. Ich bin gut in dem. Bei aller Bescheidenheit: Das kann ich.
Was muss man da können?
Man muss Freude haben, und man muss Freude haben, Freude zu bringen. Das klingt esoterisch, ist aber so.
Ich will kein Programm runterspulen, sondern Feste feiern.
Ich will das Publikum mit einbeziehen, es soll Teil meiner Show werden.
Aber ehrlich: Da kommt doch einfach zwischen Stehapéro und Rindsfilet noch musikalische Unterhaltung.
Nein. Man muss den richtigen Zeitpunkt für den Auftritt finden. In Brasilien sagt man, es gibt für alles seine Zeit. Das gilt auch für Konzerte an Firmenanlässen.
Aber es gibt doch sicher Momente, da ihr euch vorne extrem Mühe gebt und im Publikum alle schwatzen.
Ich kämpfe bis zur letzten Minute um die Gunst des Publikums. Wirklich. Da bin ich ein Sportler. Ich stand am Schluss schon auf einer Bar und habe gesungen.
Können Sie auch nach einem schlechten Tag auf die Bühne gehen und den Showman geben?
Ja, das macht die Erfahrung und das Handwerk.
Wie viel ist Handwerk?
Der Grossteil. Der grösste Teil der Arbeit als Musiker und Entertainer ist Handwerk. Ich fühle mich den Handwerkern verbunden. Wenn du das Handwerk nicht kannst, dann hast du auch keinen Platz für Interaktionen. Die Basis ist das Handwerk. Erst diese Basis erlaubt die zusätzliche Kunst.
Wie lernt man dieses Handwerk?
Kilometer abspulen. Ich habe gegen 1000 Shows gespielt.
Und was macht man dagegen, dass sich Routine einschleicht?
In dem wir an Konzerten offene Räume lassen. Gleichzeitig lasse ich viele meiner Shows aber auch filmen und schaue sie mir daheim an. Da geht es dann darum, was man alles verbessern kann.
Leicht perfektionistisch veranlagt?
Nicht leicht. Massiv!
Sie singen über sich als 18-Jähriger, wie Sie daheim weggeschlichen sind.
Haben Sie sich darin wiedererkannt?
Nein. Ich bin eigentlich nie nachts abgehauen. Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Marc Sway es getan hat.
Doch, doch. Ich finde es eine wahnsinnig spannende Zeit im Rückblick. So ein spannendes Alter. Es ist geprägt von zwei Gefühlen: Naivität und Grössenwahn. Zu gleichen Teilen. Eine tolle Mischung. Und man fühlt sich unverletzlich.
Bei mir kommen so Bilder hoch, wie wir damals am See gesessen haben, Spasszigaretten geraucht und Bob Marley gehört haben.
Heute sehe ich wieder Jugendliche, die am See sitzen, Zauberzigaretten rauchen, Bob Marley hören und 18 Jahre alt sind. Gewisse Dinge ändern sich scheinbar nie.
Trauern Sie dieser Zeit nach?
Nein, aber ich versuche, diese Gefühle ab und zu wieder hervorzuholen.
Die Naivität und den Grössenwahn?
Das haben jetzt Sie gesagt. Nein, vor allem diese Leichtigkeit dieser Zeit. Später wächst man in Rollen hinein. Ich bin Vater zweier Kinder, habe eine Unternehmung. Ohne das gross gewollt zu haben, habe ich mittlerweile eine recht grosse Verantwortung. Die Leichtigkeit eines 18-Jährigen ist da weit weg. Die hole ich mir aber dann und wann wieder.
Mit Spasszigaretten und Marley?
Spasszigaretten ertrage ich mittlerweile ehrlichgesagt nicht mehr so, aber Bob Marley höre ich noch ab und zu. Man muss sich dann und wann ins Gedächtnis rufen, dass nicht immer alles so ernst ist, wie wir glauben zu meinen.
Sie gehen rasant auf die 40 zu. Werden Sie gerne älter?
Ich hatte in Brasilien ein Gespräch mit einer 80-jährigen Frau. Sie meinte, alt seien für sie nur Leute, die 20 Jahre älter als sie sind – also 100-Jährige. So lustig das klingt, das hat etwas. Als ich 20 war, habe ich einen 40-Jährigen alt gefunden. In diesen 20-Jahre-Schritten passiert so vieles. Das Alter hat ja auch viele positiven Seiten, und ich habe viele Erfahrungen gemacht, durch die ich heute mit Sachen besser umgehen kann. Diese Erfahrungen möchte ich nicht missen.
Sie wollen also nicht noch einmal 20 sein?
Ich möchte meinen Erfahrungsschatz nicht mehr abgeben. Von daher überlasse ich das 20-Sein gerne den 20-Jährigen.
Ich habe gelesen, dass es auch einen Offline-Marc gibt. Was macht der?
Nichts. Einfach nichts.
Alle sagen, dass sie nichts tun und machen dann trotzdem vieles.
Ich nicht. Es gibt keine Telefone, kein Instagram, kein Facebook. Dafür Gäste, gutes Essen, Wein und gute Gespräche.
Sie haben in Ihrer Musik diesmal mehr brasilianische Elemente eingeflochten. Was man derzeit sonst so über Brasilien liest, scheint weniger lustig. Mit Bolsonaro ist ein Populist an der Macht, der recht radikal denkt. Wie erleben Sie das?
Noch weniger lustig. Auch weil man irgendwie direkt davon betroffen ist.
Können Sie mir als Durchschnittsschweizer erklären, wie ein derart weltoffen wirkendes und farbiges Land so jemanden wählen kann?
Ich habe eine 7-jährige und eine 10-jährige Tochter. Und ich kann von der 7-Jährigen nicht das Gleiche erwarten wie von der 10-Jährigen. Etwas ähnlich ist es mit der Demokratie in der Schweiz und in Brasilien. Brasilien hatte in den 70er-Jahren noch eine Militärdiktatur. Das Volk ist noch nicht wirklich emanzipiert. Es hat zwar eine Demokratie, aber eine, die noch Zeit braucht.
Was sagen Ihre Freunde in Brasilien?
Da ich mich eher in weltoffenen Künstlerkreisen bewege, überwiegt da der Schock.
Aber wenn man es etwas analytischer anschaut, dann hatte die Religion in Brasilien immer einen starken Einfluss.
Derzeit vor allem die Evangelikaler, eine Bewegung, die dort nach Halt und Regeln sucht. Wenn dann einer aus dem Militär kommt und verspricht, dem Chaos Einhalt zu gebieten, ist es logisch, dass der auf fruchtbaren Boden trifft. Unter dem Strich ist es wohl nicht viel anders als bei Herrn Trump.
Vor zwei Wochen hat Zürich gewählt. Marc Sway auch? Und wen?
Ich bewege mich meistens in der Mitte. Ich komme aus einem offen denkenden und gemischten kulturellen Kreis, von daher tendiere ich manchmal gegen Mitte-links, mittlerweile bin ich aber auch Unternehmer und tendiere daher manchmal gegen Mitte-rechts.
So macht man es allen recht.
Nein, es geht nicht darum, mich in diesem Interview nicht klar positionieren zu wollen, sondern darum, dass ich mich immer für die Sache einsetze. Ich mag keine Polemik, ich mag es nicht, wenn es gehässig wird, und ich mag es nicht, wenn man versucht, Ängste zu schüren. Diese Wahlen waren aber sehr sinnbildlich dafür, wie gut es unserem Land geht.
Wie meinen Sie das?
Ich glaube, dass die Leute eher Mitte-links wählen, wenn es ihnen gut geht. Aber immerhin, mittlerweile gehen ja auch noch die Jungen auf die Strasse und demonstrieren fürs Klima. Eigentlich schlimm: Man kann nicht einmal mehr über die Jugend schimpfen. (lacht)
Was machen Sie für das Klima?
Ich bin da ganz ehrlich kein grosses Vorbild.
Mein Beruf macht es schwierig, meinen Klima-Fussabdruck so klein wie möglich zu halten.
Ich bin oft mit dem Flugzeug unterwegs und nach den Konzerten wird es oft so spät, dass ich nur noch mit dem Auto nach Hause komme.
Und dann fahren Sie selber nach Hause?
Ja. Das macht meinen Lebenswandel als Musiker automatisch etwas gesünder. Aber zurück zum Klima: Ich versuche im Kleinen etwas zu machen. Ich versuche bewusst zu planen, wann man warum wohin fährt und ob man jemanden mitnehmen kann. Ich habe jetzt ein Hybrid-Fahrzeug. Ich versuche, mir immer bewusst zu sein, was ich dem Planeten mit meinem Verhalten antue.
Mit einem schlechten Gewissen?
Das ist etwas schwierig zu sagen. Ich bin für mein neues Album nach Brasilien geflogen – aber wie sonst als mit dem Flugzeug soll ich dorthin kommen? Ich stehe dazu und versuche auch, das Thema nicht heuchlerisch anzugehen. Am Schluss geht es wohl nur mit Verzicht, verbunden mit dem Bewusstsein, dass man etwas machen muss. Es ist ein schwieriges Thema. Es ist wahnsinnig schwierig, nicht heuchlerisch zu werden, und es ist ebenso schwierig, dass man nicht einfach ein paar dekorative Massnahmen macht.
Etwas böse gesagt, sind doch diese Klimademos genau eine solche dekorative Massnahme.
Wenn die jungen Menschen nicht auf die Strassen gegangen wären und dadurch sensibilisiert hätten, dann wäre das Wahlergebnis anders herausgekommen. Insofern hat das eine grosse Wirkung.
Aber bewusst und nachhaltig leben ist mehr, als für eine Demo zwei Schilder zu malen.
Ich will das gar nicht werten. Ich finde es toll, dass die Jungen auf die Strassen gehen.
Meine Generation hat das viel zu wenig gemacht. Ich glaube auch, dass solche Demos der Gesellschaft etwas bringen bezüglich Zusammenhalt.
Wofür würden Sie selber heute auf die Strasse?
Für gleichgeschlechtliche Ehe und für Sachen, bei denen ich finde, dass unsere Gesellschaft noch nicht gerecht ist. Dass ein homosexuelles Paar nicht die gleichen Rechte und Pflichten wie ein heterosexuelles Paar hat, das finde ich rückständig. Das passt einfach nicht in unsere Zeit.
Apropos Zeit: Muss man wieder fünf Jahre aufs nächstes Album warten?
Es kommt dann, wenn ich wieder etwas zu sagen habe. Eben wie der Brasilianer sagt: Es gibt für alles seine Zeit. Auch für ein nächstes Album, hoffentlich.
Marc Sway, geboren am 25. Juni 1979, ist in Männedorf bei Zürich als Marc Bachofen aufgewachsen. Sway ist verheiratet mit Severina, zusammen hat das Paar zwei Töchter (Nahla Sophia und Naomi Ayleen). Die Familie wohnt etwas ausserhalb der Stadt Zürich.
Nächsten Freitag erscheint mit «Way Back Home» Sways sechstes Studioalbum. Darauf verbindet er noch konsequenter den Brasil-Sound mit seinem Pop. Auch wegen seiner markant rauchigen Stimme bleibt es typischer Sway: nicht uncharmanter Pop mit viel Groove, aber etwas wenig Ecken und Kanten. Sway singt auf Schweizerdeutsch, Englisch und Portugiesisch . Es geht um Liebe, Heimat und ums Älterwerden. Derzeit tourt Sway mit seiner Band durch die Schweiz, im Sommer wird er auch an Festivals zu sehen sein, unter anderem am Heitere Open-Air Zofingen. (mg)
Live: Freitag, 12. April, 20.00, Schüür, Luzern. Tickets: www.schuur.ch