Seit einiger Zeit bin ich (56) nicht mehr glücklich mit meiner Frau (52). Doch ich finde es schwer zu entscheiden, ob ich mich von ihr trennen soll. Es gibt noch viel, was uns verbindet, aber auch Konflikte und Phasen, in denen wir aneinander vorbeileben. Doch nimmt man ungelöste Konflikte nicht in eine nächste Beziehung mit?
Es ist tatsächlich ein Trugschluss zu denken, dass mit einem anderen Partner alles ganz anders wäre, dass man weniger Konflikte und einander viel mehr zu sagen hätte, dass die anfängliche Leidenschaft noch vorhanden wäre und es mehr Gemeinsamkeiten gäbe. Da macht man sich manchmal etwas vor.
Viel wahrscheinlicher ist, dass es zwar nicht dieselben Probleme gäbe, aber andere. Paarstudien zeigen, dass die Zufriedenheit mit der Beziehung bei einem Grossteil der Paare in den ersten zehn Jahren kontinuierlich abnimmt. Das bedeutet, dass fast alle Paare vor derselben Herausforderung stehen: Sie müssen gezielt etwas dafür tun, damit ihre Liebe trotz des Alltags nicht verloren geht. Und sie müssen lernen, mit ihren Problemen umzugehen. Selten ist eine fehlende Passung das Hauptproblem, wenn sich die Qualität einer Beziehung verschlechtert hat, denn zu Beginn der Beziehung gab es schliesslich ganz viel, das wunderbar gepasst hat.
Geht eine Beziehung auseinander, bedeutet dies fast immer eine persönliche Krise für die Betroffenen, die auch gesundheitliche und psychische Belastungen für beide Partner (und gegebenenfalls für die Kinder) mit sich bringt.
Eine vorschnelle Trennung ist daher meist nicht zu bevorzugen. Fast immer lohnt es sich, noch einmal alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die bestehende Partnerschaft zu retten. Reflektieren Sie einmal gründlich, vielleicht schriftlich, was Sie noch verbindet, was Sie an Ihrer Frau schätzen. Wie wichtig sind diese Aspekte, schätzen Sie sie noch genug oder sind sie zur Selbstverständlichkeit geworden?
Mit dem bewussten Entschluss, sich seinem Partner gegenüber wieder achtsamer, respektvoller und kompromissbereiter zu verhalten und mit dem anderen wieder möglichst oft etwas Schönes zu unternehmen, kann sich eine Beziehung erstaunlich gut wieder erholen. Dies gibt dann auch eine Basis, um ungelöste Konflikte ausserhalb der akuten Situation in Ruhe besprechen zu können. Versuchen Sie zu verstehen, wie sich Ihre Frau fühlt. Beschreiben Sie Ihr dann auch Ihre Sicht, Ihre Gefühle und Bedürfnisse. Versuchen Sie nicht, den anderen von der Richtigkeit Ihrer Ansicht zu überzeugen, sondern konzentrieren Sie sich darauf, den anderen verstehen zu wollen.
Wenn Sie aber trotz starker Bemühungen längerfristig merken, dass Sie nicht mehr glücklich miteinander sind, die Konflikte überwiegen und Ihre Gefühle füreinander erkaltet oder sogar in Abneigung umgeschlagen sind, kann eine Trennung die passende Konsequenz sein. Wichtig ist, dass Sie ehrlich zu sich selbst sind, ob Sie sich wirklich ausreichend engagiert hat oder ob da noch Luft nach oben wäre, um die im Alltag eventuell verschütteten Liebesgefühle wieder zu aktivieren.
* Birgit Kollmeyer ist dipl.-Psychologin, Paar- und Sexualtherapie, Bern