Mannheim zeigt seinen Charme erst auf den zweiten Blick: Mit Museen, Bädern und dem Stadtteil Jungbusch.
Geraldine Friedrich
Mannheim? Na klar, der Bahnhof! Egal, ob von Basel nach Berlin, von Stuttgart nach Köln oder Karlsruhe nach Hamburg: Mannheim ist immer dabei.
Im Vergleich zu dem nur 20 Kilometer entfernten, von Touristen überlaufenen Heidelberg zieht die Industriestadt jedoch bislang wenig Privatreisende an. Ein Fehler, der sich beim nächsten Umsteigen korrigieren lässt.
Gleich ausserhalb des Bahnhofs rechts erhält man bei der Tourist Info einen kostenlosen Stadtplan. Inmitten der Architektur der 1960er- und 1970er- Jahre wirkt Mannheim zunächst wenig einladend, eine Dönerbude reiht sich nach der anderen, dazwischen Billigbäcker, die von Laufkundschaft profitieren. Nur Insider stoppen auf der linken Strassenseite bei «Tokyo Sushi» in L14, laut Einheimischen nicht nur das beste Sushi-Restaurant der Stadt, sondern der ganzen Region. L14? Die erste wichtige Lektion: Mannheims gesamte Innenstadt verfügt über keine Strassennamen, sondern teilt sich recht pragmatisch in mit Buchstaben und Zahlen benannte Quadrate auf. Nehmen Sie sich die zwei Minuten Zeit, schauen Sie auf den Stadtplan, machen sich kurz die Logik klar und Sie werden sich zurechtfinden.
Es gibt sie natürlich, die klassischen Sehenswürdigkeiten: Vom Bahnhof aus führt der stark befahrene Kaiserring zum Wasserturm auf dem Friedrichsplatz, der mit Wasserspielen und Rasen eine grüne Oase inmitten doppelspuriger Strassen bildet. Dort, direkt vor dem Kongresszentrum Rosengarten, wirkt Mannheim mondän, gleich gegenüber befindet sich die Mannheimer Kunsthalle, die mit spektakulären Ausstellungen um die klassische Moderne punktet. Inmitten der Quadrate liegen die Reiss-Engelhorn-Museen, die mit ihren historischen Ausstellungen Besucherströme anlocken.
Mindestens genauso spannend sind für Entdeckerseelen jedoch Orte wie das 1920 eröffnete Herschelbad in U3, ein von dem gleichnamigen jüdischen Kaufmann finanziertes Hallenbad, welches frisch renoviert nicht nur Sauna- und Schwimm-, sondern auch Jugendstilfans anlockt. Im Sommer lohnt sich die Abkühlung im Strandbad Neckarau, der Eintritt ist frei, wer mag, kann sich mit Neckarblick im Restaurant Strandbad stärken. Wer von Mannheims Marktplatz in Richtung Nordwesten geht, taucht in eine andere Welt ein. Hier beginnt «Klein Istanbul», geprägt durch Geschäfte mit Goldschmuck, der Hochzeitswährung Nummer eins, Brautkleid-Studios und Moscheen in Hinterhöfen. Das Stadtbild wirkt ein bisschen schmuddelig, es kommt Kreuzberg-Atmosphäre auf. Hier ist Mannheim Berlin im Miniformat, eben nur mit knapp zehn Prozent der Einwohner.
Mannheims derzeit spannendstes Viertel Jungbusch liegt dazu in direkter Nachbarschaft am Verbindungskanal zwischen Neckar und Rhein. Das Arbeiterviertel ist nicht nur Heimat Deutschlands einziger Pop-Akademie und des dazu passenden «Musikparks», der Existenzgründern aus der Kreativwirtschaft günstige Büroräume bietet, sondern hat sich zum coolen Ausgehstadtteil mit Multikulti-Flair gewandelt.
In der Jungbuschstrasse verströmen Kneipen mit Namen wie «Onkel Otto Bar», «Nelson» und «Kiets König» St.-Pauli-Atmosphäre, in den vergangenen zwei Jahren haben dort viele neue Bars und Restaurants wie die Cocktailbar Hagestolz oder das vegan-vegetarische Restaurant Kombüse eröffnet. Wenige Meter neben der Pop-Akademie entstehen im Moment 90 Wohn- und Geschäftseinheiten, die als Lofts für 3000 Euro je Quadratmeter vermarktet werden. Direkt gegenüber den künftigen Lofts befinden sich noch alte Fabrikgebäude mit zersprungenen Fensterscheiben – sie werden wohl nicht mehr lange existieren, die Veredelung, neudeutsch Gentrifizierung, des Jungbusch hat begonnen.
Wo Neckar und Rhein sich küssen, liegt die 300 000-Einwohner-Stadt Mannheim. In der Industriestadt steht nicht nur eines der grössten Barockschlösser Europas, sondern auch Deutschlands bislang einzige Pop-Akademie.