Meine Freundin (28) und ich (31) überlegen, ob wir heiraten sollen. Das Thema Treue ist ein heikles Thema. Für sie gehört es anscheinend absolut dazu. Ich selber denke aber, dass es nicht einfach ist, das restliche Leben nur mit einem Menschen Sex zu haben. Ist das typisch Frau/typisch Mann? Soll ich das Thema ansprechen?
Treue ist für die meisten Menschen ein sehr schwieriges Thema und wird daher gerne vermieden. Lieber geht man stillschweigend davon aus, dass Treue doch dazugehört und für jeden dasselbe bedeutet.
Doch in Umfragen geben gut 30 Prozent der Schweizerinnen und über 40 Prozent der Schweizer an, schon mal fremdgegangen zu sein. Und viele würden es gerne tun, hätten sie Gelegenheit dazu – auch wenn sie ihre Partner lieben. Fachleute schätzen sogar, dass drei Viertel der Frauen und 90 Prozent der Männer mindestens einmal im Leben Sex ausserhalb der Beziehung haben. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden immer geringer.
Dabei sind die meisten von uns der Faszination des romantischen Liebesideals ergeben. Wir wollen alles haben: Verlässlichkeit, Treue, Nähe, Gemeinsamkeiten, aber auch Leidenschaft und Erotik. Und zu Beginn einer Beziehung haben viele – nicht nur Frauen! – die Vorstellung, dass dies mit nur einer Person ein Leben lang möglich ist.
Es ist indes ganz normal, dass in langjährigen Partnerschaften die Sexualität nicht mehr so aufregend ist wie in der Verliebtheitsphase. Das Bedürfnis nach mehr Leidenschaft in der Sexualität holt wohl die meisten im Verlaufe langjähriger Partnerschaften ein.
Liegt Monogamie also gar nicht in unserer Natur? Schaut man sich die Menschheitsgeschichte an, sieht man, dass Monogamie eine relativ junge Erscheinung ist und erst vor rund 20 000 Jahren aufkam. Und auch im Tierreich findet man nur 3 Prozent monogame Tierarten. Brauchen wir also von Natur aus Sex mit mehreren Partnern und machen uns mit einem lebenslangen Treueversprechen schlichtweg etwas vor?
Paartherapeuten bestätigen, dass Untreue zu den häufigsten Anlässen gehört, dass Paare ihre Praxis aufsuchen. Es braucht oft viel Beziehungsarbeit, um über diese Krise hinwegzukommen.
Würden wir uns viel Leid ersparen mit dem Gedanken, dass es menschlich ist, Sehnsucht nach Sex mit anderen zu haben? Hätten wir weniger das Gefühl, «das Gesicht zu verlieren», wenn wir uns bei einem Seitensprung des Partners klarmachen würden, dass dies nicht nur uns passiert, sondern oft der Fall ist? Und dass dies nicht bedeutet, nicht genug geliebt zu werden?
Das Modell der Monogamie kommt schon sehr unserem Grundbedürfnis nach Bindung entgegen, nach Sicherheit, Nähe und Geborgenheit. Aber es ist und bleibt ein Dilemma und eine Herausforderung.
Der Anfang des Weges kann darin liegen auszusprechen, was beide über das Thema Monogamie denken und was Treue für sie bedeutet. Kernfragen könnten sein: Ist ein Seitensprung unverzeihlich und das Ende der Beziehung? Oder will man, wenn es passieren sollte, gemeinsam versuchen zu verstehen, was er bedeutet, um ihn verzeihen zu können? Oder gesteht man sich gegenseitig sexuelle Aussenkontakte auf der Basis einer stabilen emotionalen Beziehung zu? Dass so ein Gespräch einfach ist, wird aber kaum jemand behaupten.
Birgit Kollmeyer