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In ihrer Kolumne «Liebes Leben, wir müssen reden» schreibt Social-Media-Redaktorin Maria Brehmer über alles, was das Leben schöner macht – und manchmal auch schwieriger. Heute: Warum kann man dieses diffuse Gefühl nur so schlecht erziehen?
Ganz ruhig, liebes Pflichtbewusstsein! Du kommst auch noch dran. Das kommst du immer. Doch jetzt rede ich, und ich möchte dir ein paar Dinge sagen, die ich dir schon vor Jahren hätte sagen sollen. Damals, als du angefangen hast, dich einzumischen. Dich in meine Träume zu schleichen, meine Tage zu bestimmen.
Es kann doch nicht sein, dass du, das diffuse Gefühl in meinem Brustkorb, tust und lässt, wie dir beliebt – und ich dich nicht erziehen kann. Ich meine:
Wo bist du jetzt gerade?
Ich sitze an meinem Pult vor meinem Laptop, es scheint die Frühlingssonne – und mich zieht es wie an einem unsichtbaren Seil nach draussen. Konzentration, ade! Dabei rufe ich laut nach dir. Auch du solltest zuverlässig deine Pflicht erfüllen und mir genau jetzt zu verstehen geben, dass ich eine wichtige Aufgabe zu lösen habe: diese Kolumne schreiben. Doch du ...
... rekelst dich lieber im Liegestuhl auf der Terrasse und trinkst einen Daiquiri.
Danke auch.
Oder warum verschwindest du nicht einfach, wenn ich abends zu zweit die Ruhe geniessen will? Wieso machst du stattdessen Lärm wie eine schlechte Gugge und rufst unüberhörbar: Hey! Entspannen kannst du dich, wenn du schläfst, jetzt gilt es, die Küche zu putzen / die Wäsche zu waschen / Rechnungen zu zahlen?
Und warum tauchst du nicht dann wieder auf, wenn ich einen Beziehungsknackpunkt ansprechen will, weil ich weiss, dass es besser ist, darüber zu reden als darüber zu schweigen?
Wo steckst du, wenn das Ich-Möchte so viel stärker ist als das Ich-Sollte?
Ja, das stimmt: Ich neige zur ambivalenten Vorstellung, dass ich ohne dich eine absolute Niete wäre, nur um dich im nächsten Moment am liebsten ausradieren zu wollen. So viel habe ich schon geschafft dank dir! So viel muss ich noch tun, wohin nur mit all den Pflichten? Eine mühsame Zerrissenheit, in die du mich hineinmanövrierst.
Dass ich heute weiser (und pflichtbewusster!) bin als in meinen unsteten Zwanzigern, macht die Sache nicht einfacher. Im Gegenteil: Du nimmst mit jedem Jahr mehr Platz ein. Scheinst dich wie eine Kerze mit jedem Eintunken ins Wachs millimeterweise zu verdicken, Schichten an Pflichten anzuhäufen, bis sie wirr überlappen und schwer und klumpig am Docht hängen.
Das macht dich träge, aber hartnäckig. Wenn du kommst, bleibst du. Piesackst mich, bis du kriegst, wonach du dürstest. Ich gehorche dir, und für meine Leistungen verlangst du Dankbarkeit. Weil «das alles ohne mich nichts geworden wäre», wie du jedes Mal sagst. Verflixt, ja, damit hast du recht. Du hältst den Laden am Laufen. Du hältst mich am Laufen.
Doch es ist Zeit, die Fronten zu klären. Denn:
Ich mag mich nicht immer dann mit meinem schlechten Gewissen herumschlagen, wenn du gerade auf dich warten lässt.
Wie wär es stattdessen, wenn du und das schlechte Gewissen künftig im Jobsharing meine Abteilung To-do leiten würdet? Eure jeweiligen Stärken würden sich prima ergänzen.
Und falls du jetzt Einsprache erhebst: später. Jetzt gehe ich in die Sonne.