Die Schaffung von legalen Migrationswegen mittels Erteilung von Einwanderungskontingenten ist unumgänglich, sagt unser Brüssel-Korrespondent Remo Hess.
Die Migrationsbewegung ist zurzeit eine der grössten, wenn nicht die grösste Herausforderung Europas. Nicht, weil sie zahlenmässig so überwältigend wäre. Vielmehr, weil sie ein so enormes Spaltpotenzial entfaltet. Kommt die Sprache auf Migration und Flüchtlinge, geht eine Trennlinie durch die Gesellschaft, entlang derer irgendwann nur noch Gehässigkeiten ausgetauscht werden. Rational über das Thema zu diskutieren, wird jedenfalls zunehmend schwierig.
Dazu wäre nötig, dass beide Lager, Migrationsbefürworter wie -gegner, mindestens zwei Dinge anerkennen. Erstens ist der alternde Kontinent Europa auf Einwanderung angewiesen. Zweitens kann diese nicht in lebensgefährlichen Überfahrten übers Mittelmeer stattfinden. Daraus folgt, dass die Schaffung von legalen Migrationswegen mittels Erteilung von Einwanderungskontingenten unumgänglich ist. Diese Tatsache liegt auf der Hand und wird von den EU-Staats- und -Regierungschefs bei jedem Migrationsgipfel aufs Neue festgehalten. Es ist der effizienteste Weg, das Geschäftsmodell der Schlepper zu zerstören und den Herkunftsländern Anreize zur Zusammenarbeit zu geben.
Aber zurzeit funktioniert das politische Europa einmal mehr im Krisenmodus, getrieben von populistischem Furor. Die Einrichtung kontrollierter, gesamteuropäischer Asylzentren klingt zwar gut. Der Plan scheitert aber grandios am Sankt-Florian-Prinzip: Zentren ja, aber doch nicht bei mir. Und wenn man die Bootsmigranten wie angedacht nach Libyen zurückschickt, könnte man sich auch gleich von der Menschenrechtskonvention verabschieden. Will Europa die Migration langfristig in den Griff kriegen, muss es tun, was richtig ist.