Kommentar
Fall Villiger: Gericht hat geholfen, den Wählern Informationen vorzuenthalten

Lena Berger, Regionalleiterin der «Zentralschweiz am Sonntag» über die Vorwürfe gegen den Zuger Regierungsrat Beat Villiger – und weshalb dieser Fall Licht auf einen Bereich der Justiz wirft, der sonst im Dunkeln bleibt.

Lena Berger
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Lena Berger, Regionalleiterin der «Zentralschweiz am Sonntag» (Bild: Dominik Wunderli)

Lena Berger, Regionalleiterin der «Zentralschweiz am Sonntag» (Bild: Dominik Wunderli)

Die Luzerner Staatsanwaltschaft hat sich diese Woche viel Kritik anhören müssen. Der Grund: Sie hat ein Ermittlungsverfahren gegen den Zuger Justiz- und Sicherheitsdirektor Beat Villiger eingestellt – zu Unrecht, wie beispielsweise der ehemalige Basler Staatsanwalt Markus Mohler findet. Er sagt, eine Anklage wäre zwingend gewesen (Ausgabe vom 3. Oktober).

Der Fall wirft Licht auf einen Bereich der Strafrechtspflege, der sonst im Dunkeln bleibt. Von den 4318 anderen Fällen, welche die Staatsanwaltschaft im letzten Jahr eingestellt hat, hat die Öffentlichkeit nämlich gar nichts erfahren. Denn anders als Strafbefehle werden Einstellungsverfügungen in der Schweiz nicht öffentlich aufgelegt. Diese Entscheide bekommt nur zu sehen, wer in einem Gesuch ein «schutzwürdiges Interesse» an einem Fall nachweist und 20 Franken pro Entscheid zu zahlen bereit ist – und selbst dann kann die Staatsanwaltschaft die Einsichtnahme verweigern, wenn dieser öffentliche oder private Interessen entgegenstehen.

Vergleich mit anderen Fällen ist nicht möglich

Durch die fehlende Auflage wird der Öffentlichkeit die Möglichkeit genommen, diesen Bereich der Strafverfolgung kritisch zu verfolgen. Die Staatsanwaltschaft betont zwar, man habe Villiger nicht anders behandelt als jeden anderen. Prüfen lässt sich das nicht, denn der Vergleich mit ähnlichen Fällen ist ja nicht möglich. Würden die Entscheide zumindest anonymisiert zugänglich gemacht, wäre das anders. Zudem würde der Druck auf die Strafverfolgungsbehörden erhöht, Verfahren korrekt zu führen und die Entscheide nachvollziehbar zu begründen.

Diese Transparenz ist für den Rechtsstaat von hohem Interesse. Sie schafft Vertrauen. Und dieses muss die Bevölkerung in die Untersuchungsbehörden haben können. Denn bei Einstellungen hat die Staatsanwaltschaft das letzte Wort. Zumindest wenn – wie im Fall Villiger – kein Privatkläger da ist, der sich wehren könnte. Eine gerichtliche Überprüfung zu verlangen ist dann nicht möglich.

Die Staatsanwaltschaft trägt dieser Verantwortung Rechnung, indem jede Einstellung zur Genehmigung der internen Fachaufsicht vorgelegt wird. Drei Staatsanwälte widmen sich dieser Arbeit. Die zeitliche Herausforderung aber ist gross: 4319 Einstellungen landeten 2017 auf ihrem Tisch, hinzu kamen 1135 Nichtanhandnahmen und die rund 5000 Strafbefehle, bei denen mehr als bloss eine Busse verhängt wurde.

Das Krisenmanagement war miserabel

Juristisch ist der Fall Villiger erledigt. Die Staatsanwaltschaft hat ihren Ermessenspielraum genutzt, das Verfahren ist rechtskräftig eingestellt. Ob die Kritik daran berechtigt ist oder nicht, lässt sich ohne Akteneinsicht schwer beurteilen. Klar ist: Das Krisenmanagement von Beat Villiger war miserabel, sein Verhalten in der letzten Woche unsouverän. Politiker treten von sich aus in die Öffentlichkeit, indem sie sich zur Wahl stellen – sie können sich nicht im gleichen Mass auf die Privatsphäre berufen wie gewöhnliche Bürger. Es ist Transparenz gefragt.

Umso erstaunlicher, dass das Bezirksgericht Zürich die superprovisorische Verfügung gegen die Berichterstattung des Onlinemagazins «Republik» guthiess. Ohne die Redaktion anzuhören, half es dabei mit, der Wahlbevölkerung Informationen über ihren Regierungsratskandidaten vorzuenthalten. Dass sich ein Gericht derart in einen politischen Prozess einmischt, ist befremdend.