Leserbrief
Die höhere Berufsbildung ist seit Jahrzehnten in der falschen Liga

Gedanken zur steigenden Gymnasialquote

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Das SBFI (Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation) predigt seit zwei Jahrzehnten: «Die höhere Berufsbildung ist der Hochschulbildung gleichwertig, jedoch andersartig.» Dies ist leider nur ein Lippenbekenntnis der vornehmlich akademischen Bundesbeamten. Ein wichtiger Grund für die fehlende Wertschätzung und Anerkennung der Berufsbildung sind die Titelbezeichnungen der höheren Berufsbildungsabschlüsse. Die Titel sowie deren Reputation der Ausbildungsgänge sind entscheidend für die Wahl zwischen Berufsbildung und Gymnasium.

Aktuell gibt es 430 verschiedene formale Abschlüsse. Erstens den eidgenössischen Fachausweis, zweitens das eidgenössische Diplom (früher Meisterdiplom) und drittens das Diplom der Höheren Fachschule (HF), das oft mit der Fachhochschule (FH) verwechselt wird.

Hier fehlt ein verständlicher Titel. Das SBFI kreierte den folgenden Titel für die Höheren Fachschulabschlüsse: «Advanced Federal Diploma of Higher Education». Niemand hat diesen Titel übernommen. Die Konsequenz ist, dass die Höheren Fachschulen heute mit ausländischen Universitäten zusammenarbeiten, um ihren Absolventen einen Bachelortitel zu vergeben. So etwa die Schweizerische Textilfachschule, die mit der University of West London kooperiert. Auf der Hochschulstufe geniessen die Titel Bachelor und Master ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Die meisten Akademiker wissen leider nicht, wie sie die höhere Berufsbildung einordnen sollen. Allen voran die Personalleute und Linienmanager aus dem Ausland. Deshalb fehlt die gesellschaftliche Anerkennung, wodurch das duale Berufsbildungssystem zunehmend benachteiligt ist.

Die höhere Berufsbildung richtet sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes aus und bereitet auf anspruchsvolle Fach- oder Führungsfunktionen vor. Sie basiert auf der engen Verknüpfung von Theorie und Praxis und versorgt unsere Arbeitswelt mit hoch qualifizierten Fachleuten. Was an Wissen und Kompetenzen vermittelt wird, ist im Berufsalltag direkt anwendbar. Damit die Abschlüsse der Berufsbildung im Ausland richtig eingestuft werden können, gibt es den sogenannten Qualifikationsrahmen (NQR). Mit diesem Referenzinstrument kann man die schweizerischen mit den ausländischen Abschlüssen vergleichen und einstufen. Die NQR-Stufe 6 entspricht dem Bachelor, die Stufe 7 dem Master und die Stufe 8 dem Doktorat. Nun zeigte sich, dass die Absolventen der Höheren Fachschule in diesem NQR auf Stufe 6, einige sogar auf Stufe 7, eingereiht sind. Für diplomierte Treuhandexperten oder für die diplomierte Expertin in Rechnungslegung und Controlling gilt sogar die Stufe 8.

Mittlerweile hat Deutschland den Titel Professional Bachelor für die Abschlüsse der höheren Berufsbildung eingeführt. Somit dürften standespolitische Widerstände kein Grund mehr gegen die Anerkennung und Einführung des Professional Bachelors darstellen, der seit über 15 Jahren in der Schweiz von verschiedenen Organisationen der Arbeitswelt gefordert wird. Denn die Aufwertung und Anerkennung der höheren Berufsbildung werden zusehends zur Schicksalsfrage für das gesamte Berufsbildungssystem.

Zu guter Letzt noch dies. Ob man an einer Uni, einer Fach- beziehungsweise pädagogischen Hochschule studiert oder einen Titel der höheren Berufsbildung erlangt hat, ist finanziell kaum relevant. Dazu sagt der Bildungsökonom Stefan Wolter: «Betrachtet man das Einkommen über das gesamte Leben, so stellt man fest, dass es bei allen Tertiärabschlüssen ähnlich ist.» Deshalb ist es höchste Zeit, die Titel der höheren Berufsbildung in der richtigen Liga anzusiedeln. Denn dieses Thema spielt eine wesentliche Rolle in der aktuell geführten Gymi-Quoten-Diskussion im Kanton Zug.

Rolf Brandenberger, Kantonsrat FDP, Rotkreuz