Leserbrief
Kostenexplosion im Gesundheitsweisen findet nicht statt

Zum Meinungsbeitrag «Liebe Ärztinnen und Ärzte, es reicht», Ausgabe vom 8. Juni

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Mit pauschalen Anwürfen verunglimpft dieser Artikel einen ganzen Berufsstand, der sich besonders in den letzten beiden Jahren mit sehr grossem Einsatz um die Gesundheit der Bevölkerung gekümmert hat. Ich möchte hier jedoch nicht mit pauschalen Gegenvorwürfen antworten, sondern zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen.

Die immer wieder angesprochene Kostenexplosion im Gesundheitswesen findet nicht statt. Tatsächlich wachsen die Kosten seit mehreren Jahren konstant mit etwa 2,5 Prozent pro Jahr. Dieses Kostenwachstum ist durch die medizinischen Fortschritte sowie die zunehmende Alterung der Bevölkerung bedingt. Die Empfehlung einer Expertenkommission des Bundes sieht eine Kostensteigerung im vergleichbaren Umfang voraus. Was dagegen deutlich schneller ansteigt, sind die Krankenkassenprämien. Dies vor allem, da immer mehr Leistungen (kostengünstig) ambulant erbracht werden. Diese Leistungen werden im Unterschied zu stationären Behandlungen vollständig von der Krankenkasse bezahlt und sind somit direkt prämienwirksam. Bei den stationären Leistungen zahlt der Kanton hingegen etwa die Hälfte. Die FMH kämpft seit Jahren gegen diese Verzerrung und die daraus folgenden Fehlanreize. Hier ist jedoch die Politik gefragt.

Der Vorwurf, dass das neue Tarifsystem Tardoc in seiner heutigen Form zwingend zu einer Kostensteigerung führen wird, ist ebenso unsinnig. Das Tarifsystem ist letztlich eine komplexe Mechanik, die primär die Vergleichbarkeit verschiedener Leistungen untereinander darstellt. Das «Preisschild» wird erst zum Schluss über den sogenannten Taxpunktwert festgelegt. Dieser Taxpunktwert wird wiederum mit den Versicherern verhandelt und von der Politik genehmigt. Bei einem Übergang von Tarmed zur Tardoc käme eine sogenannte Kostenneutralitätsphase von drei Jahren zum Tragen. Während dieses Zeitraumes würde automatisch über eine Justierung des Taxpunktwertes ein übermässiger Kostenanstieg vermieden.

Ziel der neuen Tarifstruktur ist ganz einfach eine bessere Abbildung der realen Kosten für bestimmte Leistungen. So ist insbesondere vorgesehen, dass bisher zu schlecht abgegoltene (hausärztliche) Leitungen besser, einzelne technische Leistungen dagegen schlechter abgegolten würden. Das Abseitsstehen des Krankenversichererverbandes Santésuisse bei diesen Verhandlungen ist bedauerlich. Es muss hier aber leider eine eigentliche Diskussionsverweigerung der Santésuisse konstatiert werden, und dies bereits seit vielen Jahren. Verhandlungen mit einem vollständig unkooperativen Partner zu führen, ist nicht möglich.

Die immer wieder als Alternative angeführten «Pauschalen» sind für Teilbereiche der Medizin sicherlich sinnvoll. Grosse Bereiche, insbesondere die der hausärztlichen Medizin, können jedoch mit Pauschalen nicht genügend abgebildet werden, sodass ein Einzelleistungstarif für die Mehrzahl der in der Praxis tätigen Ärzte weiterhin zwingend ist. Als Mittel für Kosteneinsparungen ist ein Tarifsystem dagegen nicht geeignet.

Die Schweiz leistet sich ein teures, aber sehr gutes Gesundheitssystem, das für die gesamte Bevölkerung eine sehr hohe Zugänglichkeit zu medizinischen Leistungen in bester Qualität bietet. Von einem Selbstbedienungsladen für Ärzte zu reden, zielt am Problem vorbei. Dem Verfasser des Artikels kann ich lediglich raten, sich bei seiner Meinungsbildung nicht ausschliesslich auf die Propaganda des BAG zu verlassen. Sollte Herr Benini Interesse haben, die Probleme der Ärzte, die sich jeden Tag in der Praxis um ihre Patienten kümmern, zu verstehen, so kann ich gerne einen Kontakt vermitteln.

Dr. med. Urs Hasse, FMH Dermatologie und Venerologie, Präsident der Zuger Ärztegesellschaft, Zug